Zehn Jahre Wasserkraft-Daten: Zwischen Bedrohung und Erfolgen für die Balkanflüsse

Baustelle des Ulog-Staudamms am Oberlauf der Neretva

Obere Neretva: Der Ulog-Staudamm steht kurz vor der Inbetriebnahme - ein verheerender Schlag für den einst unberührten Flussabschnitt. Geschützte Arten wie die Weichmaulforelle und der Dohlenkrebs gehören zu den betroffenen Arten. Was einst ein klares, lebendiges Ökosystem war, ist nun ein weiteres Opfer der Wasserkraft.

© Bruno D'Amicis
Die Vjosa fließt im Abendlicht durch einen Herbstwald. Im Hitergrund erhebt sich ein Gebirge.

Einer unserer Erfolge: Die Vjosa bleibt frei von Wasserkraftwerken. Mit der Ausrufung des Nationalparks Vjosa wurden 26 Staudammprojekte obsolet.

© Nicolas Jehly
Wasserkraftwerksbau in Bosnien-Herzegowina

Obere Drina: An der Bistrica, einem Nebenfluss der Drina nahe der Stadt Foča, sind drei Staudämme im Bau. Der landschaftlich reizvolle Fluss war das wichtigste Laichgebiet des weltweit bedrohten Huchens (Hucho hucho) im Einzugsgebiet der Drina. Die Behörden der Republik Srbska ignorierten diese Tatsache und begannen mit finanzieller Unterstützung Chinas, den Fluss zu zerstören.

© Bruno D’Amicis
Statistik zu Wasserkraftwerken auf dem Balkan

Der Wasserkraft-Wahnsinn in Zahlen

© Kampagne Blue Heart

Radolfzell,Wien. Ein Jahrzehnt nach der ersten systematischen Datensammlung über Wasserkraftprojekte auf dem Balkan, wurde nun ein neues Balkan Hydropower Update 2024 veröffentlicht; es zeigt ein gemischtes Bild: Einerseits konnte großer zivilgesellschaftlicher Einsatz viele zerstörerische Projekte aufhalten, andererseits sind trotz anhaltenden Widerstands aber immer noch tausende Wasserkraftprojekte in Planung und knapp 100 schon in Bau. Besonders beunruhigend: Die Hälfte dieser Projekte liegen in Schutzgebieten. Auf unserer interaktiven Karte können Sie diese neuen Daten erkunden.

Die anhaltende Gefahr

Das Update anhand der Daten von 2024 ergab:

  • 3.188 Wasserkraftprojekte sind in der Region in Planung, 94 im Bau und 1.836 in Betrieb.

  • 92 Prozent der geplanten Projekte sind Kleinwasserkraftwerke (unter zehn MW), die sehr wenig Energie erzeugen, aber den Flüssen und Gemeinden verheerende, irreversible Schäden zufügen.

  • Nahezu die Hälfte der Projekte sind in Schutzgebieten geplant oder schon im Bau, was deren eigentlichen Zweck – den Schutz der Natur – ad absurdum führt.

  • Seit dem letzten Update 2022 gingen weitere 110 Wasserkraftwerke in Betrieb, wodurch weitere 1.100 Flusskilometer zerstört wurden.

  • Bosnien-Herzegowina (BiH), Albanien und Serbien sind weiterhin Hotspots der Wasserkraftentwicklung, und auch in Griechenland und Kroatien nehmen die Projekte zu.


Ein Jahrzehnt Widerstand: hart erkämpfte Siege für den Flussschutz

Tausende Kilometer Flüsse gingen im letzten Jahrzehnt an die Wasserkraft verloren, aber die Anstrengungen von NGOs wie EuroNatur, Riverwatch und ihrer vielen Partner in den Balkanstaaten, von örtlichen Gemeinden, Wissenschaftlerinnen, Aktivisten, Juristinnen und vielen weiteren im Rahmen der Kampagne „Rettet das blaue Herz Europas“ haben größere Zerstörung abwenden können. Der Vergleich mit den Daten seit 2015 (siehe Abbildung) zeigt, dass es gelungen ist, den Staudamm-Tsunami abzubremsen. „Die signifikante Zunahme an Wasserkraftprojekten zwischen 2015 und 2022 (von 714 auf 1.726) setzte sich fort, scheint sich aber in den letzten beiden Jahren verlangsamt zu haben“, stellt die Studie fest (S. 3). Außerdem hat die Zahl der in Umsetzung befindlichen Projekte seit 2017 stetig abgenommen.

Dieser Erfolg zeigt sich nach dem jüngsten Update auch in der Streichung von 452 Wasserkraftwerkprojekten, deren Umsetzung nicht mehr als durchführbar angesehen wird. Darunter befinden sich auch 26 im Vjosa-Wildflussnationalpark in Albanien, der am 13. März seinen zweiten Jahrestag feierte. Auch fünfzehn Projekte an der Neretvica in BiH wurden durch politische Entscheidungen zu den Akten gelegt. In Griechenland werden nun 405 Projekte im offiziellen Planungsregister des Landes als „abgelehnt“ gelistet. In BiH werden nach den Änderungen des Elektrizitätsgesetzes in der Föderation Bosnien und Herzegowina weitere Aussetzungen erwartet, wodurch mindestens 116 Projekte gestoppt werden.

„Wir sehen diese Ergebnisse mit gemischten Gefühlen. Einerseits haben wir in den letzten zehn Jahren so viele Flüsse verloren – jeder einzelne Staudamm ist einer zu viel. Andererseits zeigen die Daten, dass immer weniger Wasserkraftwerke gebaut und mehr Flüsse gerettet werden. Das bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Aber es ist klar: Wir müssen weiterkämpfen, um das Blaue Herz Europas am Leben zu halten“, sagt Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch.

„Unsere Bemühungen in der Blue-Heart-Kampagne tragen zwar Früchte und insgesamt werden weniger Flüsse durch Wasserkraft zerstört. Dennoch ist es äußerst besorgniserregend, dass nahezu 50 Prozent der geplanten und im Bau befindlichen Wasserkraftwerke in Schutzgebieten liegen. Das konterkariert nicht nur den Zweck von Schutzgebieten, sondern setzt auch ein fatales Signal für den Naturschutz insgesamt“, betont Annette Spangenberg, Leiterin Programmbereich Fließgewässer bei EuroNatur.


Die Staudamm-Länder: wo die Zerstörung jetzt stattfindet

Bosnien-Herzegowina, Albanien und Serbien sind nach wie vor Hotspots der Wasserkraft, deren zerstörerische Projekte einige der wertvollsten Flussökosysteme in Europa bedrohen. Zum Beispiel:

  • In BiH zählen zwei ikonische Flüsse zu den am stärksten bedrohten im Balkan, da sie einer Vielzahl von großen und kleinen Staudammprojekten ausgesetzt sind:

    • Neretva: Mehr als 50 kleine und große Wasserkraftwerkprojekte bedrohen das Flusssystem – die Neretva und jeden einzelnen ihrer Nebenflüsse. Dazu gehören der kürzlich fertiggestellte große Ulog-Staudamm, der die alpine Landschaft durchschneidet, und das Projekt „Upper Horizons“, das größte Staudammprojekt in Europa. 

    • Obere Drina: Eines der am stärksten bedrohten Flusssysteme der Region. Zahlreiche große und kleine Staudammprojekte stellen eine enorme Bedrohung für den bereits weltweit gefährdeten Huchen (Donaulachs) dar.
       

  • Albanien ist mit 27 im Bau und 346 in Planung befindlichen Projekten nach wie vor ein Hotspot für den Wasserkraftausbau in der Region. Zu den schlimmsten Projekten gehören:

    • Shkumbini: In einem der extremsten Fälle von übermäßigem Wasserkraftausbau bleibt buchstäblich kein Nebenfluss von Dämmen verschont. Selbst Schutzgebiete wie der Shebenik-Jabllanica-Nationalpark sind durch neue Kleinwasserkraftwerke bedroht.

    • Devoll: Die Fertigstellung der Staudämme Banja und Moglica hat den Oberlauf des Flusses dauerhaft in eine Kette von Stauseen verwandelt, die den Flussverlauf unterbrechen und das Ökosystem flussabwärts stark beeinträchtigen.


Hintergrundinformationen:

  • Alle zwei Jahre analysieren die Naturschutzorganisationen EuroNatur (DE) und Riverwatch (AT) die Situation des Wasserkraftausbaus auf dem Balkan und aktualisieren die Daten über bestehende, geplante und in Bau befindliche Wasserkraftwerke. Dabei wird auch die Zahl an Projekten in Schutzgebieten erhoben. Das Datenupdate 2024 wurde, wie schon der ursprüngliche Datensatz und alle vorherigen Updates, von Ulrich Schwarz, Fluvius Wien, erstellt.

  • Die von den Organisationen EuroNatur und Riverwatch koordinierte Kampagne „Save the Blue Heart of Europe“ zielt auf den Schutz von Flüssen mit hohem Naturwert auf dem Balkan ab, die durch über 3.000 Wasserkraftprojekte bedroht sind. Sie wird gemeinsam mit Partnerorganisationen in den Balkanländern umgesetzt und u. a. von der Manfred-Hermsen-Stiftung unterstützt.


Pressekontakt:

Christian Stielow, EuroNatur
Telefon: +49 7732 9272 15
E-mail: christian.stielow(at)euronatur.org

Ulrich Eichelmann, Riverwatch
Telefon: +43 6766 6215 12 
E-mail: ulrich.eichelmann(at)riverwatch.eu

 

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