Aoos & Vjosa: Grenzenlos im Fluss

„Flüsse haben die Kraft, Menschen zusammen zu bringen.“

Der Sarantaporos in seinem breiten Schotterbett. Im Hintergrund sind schneebedeckte Berge.

Es ist nicht vorherzusehen, wie der Sarantaporos sein Bett morgen gestalten wird. Mit dem Wasserstand und dem Flusslauf ändern sich auch die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere ständig und in kurzer Zeit.

© Dimitris Papageorgiou

Flüsse kennen keine Grenzen, doch sie schaffen Verbindung über Grenzen hinweg. Und das ist keine hohle Phrase. So zumindest erlebt es Fanourios-Nikolaos Sakellarakis, genannt „Fanikos“, immer wieder aufs Neue. Als er dem Sarantaporos im Jahr 2017 das erste Mal begegnete, arbeitete er noch als Feldökologe im Dreiländereck zwischen Griechenland, Nordmazedonien und Albanien. Die Presparegion hatte ihn mit ihrer Vielfalt in den Bann gezogen und der Gedanke des grenzübergreifenden Naturschutzes gleich mit. Doch einen Fluss wie diesen hier hatte Fanikos vorher noch nie erlebt - so wild, dynamisch und frei. Gemeinsam mit einer internationalen und stetig wachsenden Gruppe von Menschen streitet der junge Grieche heute nicht nur für den Schutz des Sarantaporos, sondern auch für die Ausweisung eines transnationalen Wildflussnationalparks Vjosa-Aoos, zu dem  auch der Sarantaporos gehören soll. Am meisten freut sich Fanikos Sakellarakis einen Paradigmenwechsel im Verhalten der lokalen Bevölkerung beobachten zu können – eine positive Entwicklung, die Hoffnung gibt.  

Vjosa & Aoos: Auf dem Weg zum grenzübergreifenden Nationalpark

Der Aoos im albanisch-griechischen Grenzgebiet

Auf griechischer Seite fließt die Vjosa als Aoos durch die Landschaft. Am Horizont ist schon Albanien zu sehen - eine Grenze die menschengemacht ist und für den Fluss selbst keine Rolle spielt.

© Joshua David Lim

Fanikos Sakellarakis steht auf einer dieser historischen Steinbrücken, gebaut aus dem Material, das der Sarantaporos mit der Kraft des Wassers heranschleppt. „Ich war 25 Jahre alt und fuhr über die Spiliotopoulou-Brücke. Da sah ich dieses Flussbett!“, erinnert er sich heute. „Ich konnte nicht glauben, wie breit es war. Mir stockte der Atem und es schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass dies einer der wildesten Orte ist, die ich in Griechenland je gesehen habe. Durch meine Arbeit als Feldökologe hatte ich damals bereits viel gesehen. Wenn ich heute zurückblicke, war diese Begegnung ein Schlüsselereignis für mich. Ich habe wirklich begriffen, welche Dynamik und Kraft ein naturbelassener Fluss hat.“  Wenige Jahre später ist Fanikos Sakellarakis Naturschutzkoordinator des Mediterranean Institute for Nature and Anthropos (MedINA) und leitet das Programm zum Schutz von Süßwasserökosystemen. 
 

  • Sarantaporos, Vjosa, Aoos, oder was?

    Der Sarantaporos ist ein wichtiger Zubringer des Aoos/Vjosa-Flusssystems und verläuft im Nordwesten Griechenlands. Mit einer Länge von 55 Kilometern fließt er durch die Region Epirus und vereinigt sich auf griechischer Seite mit dem Aoos, der auf albanischer Seite dann zur Vjosa wird. Dieses Flussnetz ist eines der letzten und längsten nahezu frei fließenden Flusssysteme Europas. 

    Albanien hat durch die Erklärung der Vjosa zum Wildfluss-Nationalpark im Jahr 2023 einen Meilenstein gesetzt. Der Aoos verläuft überwiegend im Nationalpark Nord-Pindos. Im November 2023 unternahm die griechische Regierung einen bedeutenden Schritt und wies das bis dato ungeschützte Gebiet zwischen dem Nationalpark und der griechisch-albanischen Grenze als Landschaftsschutzgebiet aus. Ein weiteres positives Signal gab es im Sommer 2024, als das Einzugsgebiet des Sarantaporos zur geschützten Landschaft wurde. Der Bau von Staudämmen und Wasserkraftwerken, einschließlich Kleinwasserkraftwerken ist dort nun verboten. Allerdings sind mehrere Wasserkraftprojekte außerhalb des kürzlich ausgewiesenen Schutzgebiets geplant. Weitere befinden sich in einem fortgeschrittenen Genehmigungsstadium. Damit das gesamte Flussnetz in seiner Einzigartigkeit bewahrt wird, setzten wir uns mit unseren albanischen und griechischen Partnern für einen grenzüberschreitenden Wildfluss-Nationalpark Vjosa-Aoos ein.   

Geisterhafte Grenzgänger

Fanikos Sakellarakis in Gummistiefeln steht im Fluss und fischt mit einem Kescher.

Als Fanikos Sakellarakis im Oberlauf des Sarantaporos Balkanforellen und Aale ins Netz gingen, schlug sein Herz höher. Anschließend ließ er die seltenen Arten natürlich wieder frei.

© Aris Giannoukos

Der 29. Juni 2024 ist für ihn wieder ein solcher Augenöffner-Tag. Schon die ganze Woche war besonders. Später wird Fanikos sagen, dass in diesen Tagen ein entscheidender Wandel seinen Anfang nahm. Die von MedINA in Zusammenarbeit mit EuroNatur, RiverWatch und EcoAlbania organisierte Wissenschaftswoche war Teil der Initiative „Rettet das Blaue Herz Europas“. Über 60 Forschende aus elf Ländern reisten an, um auf ehrenamtlicher Basis Wissenslücken über das Ökosystem des Sarantaporos zu schließen und die Argumentationsgrundlage für seinen Schutz zu verbessern. 

Gemeinsam mit EuroNatur-Projektleiter Leonard Sonten und dem Schriftsteller Julian Hoffman begleitete Fanikos eine Gruppe von Fischexperten. Sie wateten gerade durch die Stromschnellen, als es passierte: „Wie ein Blitz glitt dieser Aal auf einem Wasserfilm über die Steine und verschwand wieder im Fluss. Für einen Moment fühlte es sich an, als wäre er nie ins Netz gegangen“, beschreibt es Julian Hoffman. Die direkte Begegnung mit einem Aal, im Oberlauf eines Flusses fast 200 Kilometer vom Meer entfernt, machte auch Fanikos Sakellarakis erneut die Verantwortung bewusst, grenzübergreifend zu denken und zu handeln, denn ein besseres Symbol als den Aal gibt es dafür kaum. „Der Fisch hatte die unsichtbare Grenzlinie zwischen Albanien und Griechenland überquert und war gegen die schneller werdende Strömung den Sarantaporos flussaufwärts geflitzt, vorbei an den Steinsiedlungen der Mastorochoria. Die berühmten Steinmetze dieser Dörfer waren von dort aus einst durch den ganzen Balkan gereist. Die elegante Bogenbrücke von Kousioumpli erinnert daran, dass menschliche Kulturen und das Leben wild lebender Arten seit langem miteinander verwoben sind“, schreibt Julian Hoffman, der gerade an seinem Buch „River Song“ über das Flusssystem Aoos/Vjosa arbeitet.  Nicht umsonst betrachtet MedINA Natur und Kultur explizit als zwei Seiten derselben Medaille und nicht umsonst warnt Vassilis Nitsiakos, Historiker und Professor für soziale Volkskunde an der Universität von Ioannina: “Der Fluss Aoos verbindet nicht nur zwei Länder miteinander. Es handelt sich um ein einziges Ökosystem. Wenn es zerstört wird, geht nicht nur ein Stück Kultur, sondern auch ein nationales, ja ein kollektives Gedächtnis verloren.“ 

  • Der Aal: Symbol der Verbindung

    Ein Aal wurde bei der Science Week im Sarantaporos mit dem Kescher gefangen.
    © Joshua David Lim

    Geboren wird der Aal in der Sargassosee, einem Teil des Atlantiks östlich von Florida. Die ersten ein bis drei Lebensjahre treiben die Fischlarven in der Form von Weidenblättern mit der Strömung vor die europäische Küste. Währenddessen entwickeln sie sich zu kleinen durchsichtigen Glasaalen und wandern weiter in die Süßgewässer. In diesem Stadium verändern die Aale ihre Farbe und werden fortan Gelbaale genannt. Wenn die Fische mit 15 bis 30 Jahren geschlechtsreif werden, beginnt die letzte Phase ihres Lebenszyklus: Sie wandern zurück an ihren Geburtsort und hören auf zu fressen. Ihre Augen werden größer und sie färben sich silbern. In der Sargassosee angekommen, laichen sie ab und sterben. Bis heute gibt der Aal der Wissenschaft Rätsel auf. Doch eines ist sicher: Der Europäische Aal ist vom Aussterben bedroht. Eines der größten Probleme sind Wasserkraftwerke, deren Turbinen kaum überwindbare Hindernisse darstellen. Entsprechend erfreulich ist der Nachweis von Aalen im Oberlauf des Sarantaporos, denn er steht für die Unversehrtheit und den großen ökologischen Wert dieses Flussökosystems. Die Vjosa ist im Mittelmeerraum der letzte Fluss, der in diesem Maße für den Aal zugänglich ist.

Wir beobachten ein sehr schönes Momentum!

Dorf in Nordgriechenland im Einzugsgebiet des Aoos

Die griechische Gemeinde Konitsa am Aoos

© Aris Giannoukos

Fanikos Sakellarakis ist allerdings optimistisch. „Wir beobachten gerade einen Paradigmenwechsel im Verhalten der lokalen Bevölkerung. Die Wissenschaftswoche hatte eine starke Wirkung.“ Das Einzugsgebiet des Sarantaporos gehört zu den am wenigsten bevölkerten Regionen Griechenlands. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die Dörfer noch ein paar Tausend Einwohner, heute sind es vielleicht noch um die 20. Doch viele Menschen fühlen sich immer noch mit ihrer Heimat verbunden, selbst wenn sie längst in größere Städte abgewandert sind. Durch die Wissenschaftswoche wurde den Menschen klar, dass sich eine internationale Gemeinschaft für das Schicksal ihres Flusses interessiert, sie haben sich gesehen und ernst genommen gefühlt. In den Monaten seit der Veranstaltung hat sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. „Viele fragten uns nach den Ergebnissen, wollten wissen, welche Arten gefunden wurden. Unsere Partner-NGOs in den lokalen Gemeinden berichten uns, dass es gelungen ist auch Menschen zu mobilisieren, die sich bisher herausgehalten hatten. Sie haben nun verstanden, welche Gefahr von den Wasserkraftplänen ausgeht“, berichtet Fanikos. Noch vor zwei Jahren sprachen sich in der Gemeinde Konitsa zusammen mit den NGOs nur ein, zwei Leute gegen die Genehmigung eines Kleinwasserkraftwerks aus. Als kürzlich gegen ein weiteres Projekt protestiert werden sollte, äußerten sich 17 kommunale Gremien in einer gemeinsamen Pressemitteilung. „Es motiviert die Leute, wenn wir sie dabei unterstützen, die Unversehrtheit ihres Flusses auf politischer Ebene einzufordern. Daraus entsteht eine große Kraft, eine Kraft, die weiterwächst. Für uns ist es ein großartiger Erfolg und ein schönes Gefühl zu sehen, dass die Samen, die wir gemeinsam gesät haben, nun aufgehen. Diese Samen bestehen aus jahrelanger Öffentlichkeitsarbeit in den Gemeinden, auch mit den jungen Leuten.“ 

Es ist ein schönes Gefühl zu sehen, wie die Samen, die wir gemeinsam gesät haben, aufgehen.

Fanikos Sakellarakis steht auf einem Platz, im Hintergrund Menschen.
Fanikos Sakellarakis, MedINA

Zu viel steht auf dem Spiel

Ein Schwalbenschwanz sitzt im Gegenlicht auf einer Hand
© Aris Giannoukos

Was die Zerstörung der einzigartigen Flusslandschaft des Aoos für die Biodiversität bedeuten würde, verdeutlicht Fanikos Sakellarakis mit einer weiteren Fischbegegnung während der Wissenschaftswoche. „Wir standen im kältesten Wasser, das ich je erlebt habe, umgeben von Auwald und in einer atemberaubenden Gebirgskulisse. Innerhalb von nur einer halben Stunde gingen mehr als 25 Balkanforellen der Art Salmo farioides ins Netz“, berichtet er und ergänzt lächelnd: „Die wir anschließend natürlich wieder frei ließen.“ Die Art ist auf nationaler wie europäischer Ebene streng geschützt und kommt im Sarantaporos sonst nirgends mehr in einer solchen Dichte vor. „Genau dort soll aber ein Wasserkraftwerk gebaut werden. Es würde alles zerstören, wovon die Biodiversität dieses Ortes lebt. Mit den Ergebnissen der Wissenschaftswoche werden wir nun gemeinsam mit der Lokalbevölkerung alles daransetzen, dass die Bauarbeiten nicht genehmigt werden. Wenn wir unser großes Ziel erreichen, dass die griechische und die albanische Regierung einen grenzübergreifenden Wildfluss-Nationalpark Vjosa-Aoos ausweist, wird das ein Meilenstein sein. Aber danach wird es noch hunderte weiterer Schritte brauchen, bis dieses Ökosystem auch praktisch geschützt ist.“ 
Wie schwer es gerade auf dem Balkan ist, grenzübergreifende Projekte zu realisieren, weiß er nur zu gut. Vor allem die unterschiedlichen Naturschutzpraktiken, Gesetzgebungen und politischen Strukturen sind herausfordernd. Es wird nicht leichter, wenn ein Land bereits zur Europäischen Union gehört und das andere nicht – so wie bei Griechenland und Albanien der Fall. „Ich erlebe, wie stark unsere Partner von EcoAlbania an einer Zusammenarbeit interessiert sind, zudem kooperieren wir mit Organisationen wie EuroNatur und Riverwatch, die uns auf europäischer Ebene unterstützen. Dieses Netzwerk gibt mir Zuversicht!“

Katharina Grund

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