Besjana Guri: Wie der Schutz der Vjosa für sie zur Lebensaufgabe wurde

In der Artikelserie „Inspirierende Frauen im Naturschutz“ machen wir Frauen sichtbar, die mit Leidenschaft, Mut und Vision positive Veränderungen bewirken und wesentlich zum Schutz von Europas Natur beitragen. Zum Auftakt berichtet Besjana Guri, was es in einem Land wie Albanien bedeutet als Campaignerin für frei fließende Flüsse unterwegs zu sein.

„Wenn dich etwas erfüllt, reißt deine Begeisterung andere mit“

Portrait von Besjana Guri, im Hintergrund fließt die Vjosa Portrait von Besjana Guri, im Hintergrund fließt die Vjosa

Mit ihrer offenen, empathischen Art gewinnt Besjana Guri das Vertrauen der Menschen.

© Anika Konsek

Als Frau in Albanien für den Naturschutz aktiv zu sein, stelle ich mir herausfordernd vor. Ist es das?

Es ist herausfordernd, vor allem, wenn du Kampagnenarbeit machst. Du bist draußen an der Basis unterwegs, oft in ländlichen Gebieten, und das in einem patriarchal geprägten Umfeld. Besonders als junge Frau ist es schwer, ernst genommen zu werden. Ich hatte das Glück, dass ich immer im Team unterwegs war und großartige Unterstützung von meinem Partner, von meiner Familie und vielen anderen Menschen erfahren habe. Sie alle haben mich motiviert und bestärkt. Aber wenn du kein solches Netzwerk hast, kannst du diesen Job als Frau in Albanien nicht machen. Noch schwieriger wird es, wenn du Mutter bist. 

Deine Tochter ist heute sieben Jahre alt. Was hat es für dich verändert, eine Mutter zu sein?

Auf der einen Seite bin ich noch motivierter und leidenschaftlicher dabei, weil ich durch meine Tochter erst richtig verstanden habe, was es bedeutet, an die nächste Generation zu denken. Aber es ist auch herausfordernd mit einem kleinen Kind. Manchmal verpasst du entscheidende Momente, während du deinen Job machst. Als meine Tochter dann sprechen konnte und sagte: „Warum gehst du weg? Bleib da!“ war das nicht leicht für mich. 

Gibt es Frauen, deren Vorbilder dich inspirieren?

Ein bestimmtes Vorbild habe ich nicht, aber in gewisser Weise ist meine Familie mein Vorbild. Die Prinzipien, mit denen ich aufgewachsen bin, helfen mir nicht aufzugeben, auch wenn es schwierig wird – Prinzipien wie Fairness, Vertrauen in meine Fähigkeiten und letztendlich die Bereitschaft, hart zu arbeiten. 

Ermutigt dein Beispiel andere Frauen dazu, ähnliche Wege einzuschlagen?

Wenn ich zu Diskussionsrunden eingeladen werde, kommt früher oder später immer die Frage, ob es für eine Frau schwierig sei, diesen Job zu machen. Diese Art zu fragen, zeigt mir, dass sich gerade Frauen von mir inspirieren lassen. Ich hatte nie die Absicht, ein Gesicht der Vjosa-Kampagne zu werden. Ich weiß nicht, warum ich mich in dieser Rolle selbst nicht gesehen habe, vielleicht ist das etwas typisch Weibliches. Ich selbst sehe mich nicht als Vorbild, aber andere möchten offensichtlich von meinen Erfahrungen lernen. 

  • Zur Person

    Selfie von Besjana Guri an einem Fluss.
    © Besjana Guri

    Besjana Guri, 37, ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet als Campaignerin bei EcoAlbania. Seit über zehn Jahren setzt sie sich mit der Kampagne „Save the Blue Heart of Europe“ gemeinsam mit EuroNatur, Riverwatch und vielen weiteren Partnern für den Schutz des einzigartigen Flussökosystems der Vjosa ein. Besjana Guri war maßgeblich am Erfolg beteiligt, dass die Vjosa im März 2023 zum ersten Wildfluss-Nationalpark Europas ausgewiesen wurde. 

Menschen mit Transparenten protestieren im albanischen Kute.

Protestaktion dwr Lokalbevölkerung für die Vjosa.

© Andi Götz

Heute trittst du ganz selbstverständlich in Talkshows und Diskussionsrunden großer Fernsehsender auf und sprichst über die Vjosa. Warst du schon immer so selbstsicher?

Nein, in den ersten Jahren der Kampagne war ich sogar sehr unsicher, auch bezüglich meiner Fähigkeiten. Ich kannte mich noch nicht besonders gut. Als wir damals die Kampagne starteten, war ich sehr jung, erst 26, und es war eine ganz neue Erfahrung für mich. Ich war nur sicher, dass ich unbedingt etwas für die Umwelt tun wollte. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, war regelmäßig bei meinen Verwandten in den Bergen und hatte schon immer eine besondere Beziehung zur Natur. Damals wusste ich noch nicht, wie sehr die Vjosa einmal mein Leben prägen würde. Wobei es mir wichtig ist zu betonen, dass wir als Team für die Vjosa kämpfen, wo jeder seinen Beitrag leistet. Unser Erfolgsgeheimnis ist es, denke ich, dass in unserem Kampagnenteam verschiedene Persönlichkeiten und Fähigkeiten vertreten sind.  

Mit welchen Qualitäten bereichern Frauen, deiner Meinung nach, die Naturschutzbewegung?

Weibliche Energie wirkt in schwierigen Situationen oft ausgleichend. Wir Frauen sind normalerweise friedfertiger als Männer. Ich würde sagen, das ist eine der schönsten weiblichen Qualitäten. Wir deeskalieren, schauen eher über den Tellerrand, indem wir langfristig denken und weitsichtig planen. Ich denke, das liegt in der Natur der Frauen. Meine persönliche Stärke ist die Empathie. Sie hilft mir, eine Verbindung mit Menschen aufzubauen, das gilt auch für unser Team. Ich würde nie den Fehler machen, einen Geschlechterkampf vom Zaun zu brechen. Es geht darum, sich gegenseitig zu ergänzen. 

Empathisch zu sein ist eine große Stärke, kann aber auch herausfordernd sein. Wie empfindest du das?

Es ist definitiv beides. Mir fällt es leicht, Verbindungen mit anderen Menschen aufzubauen, das ist in meiner Arbeit auch sehr wichtig. Wir können die Natur nicht losgelöst von den Menschen betrachten. Du musst mit denen in Kontakt treten, die in den Gebieten leben. Selbst, wenn sie nicht sofort die Tragweite dessen verstehen, was du ihnen vermitteln willst, sind sie diejenigen, die am meisten bewirken können. Was ist herausfordernd? Ich fühle mich leichter von den Emotionen anderer überladen – zum Beispiel, wenn ich die Sorgen und Nöte der Menschen zu sehr an mich heranlasse, die von Wasserkraftprojekten betroffen sind. Momente und Situationen können mich zutiefst berühren, aber auch das empfinde ich letztendlich als positiv. Schwierige Erlebnisse spornen mich erst recht an, etwas zu ändern.

Besjana Guri auf einer Demo.

Besjana Guri bei einer Protestaktion gegen Staudammprojekte an der Vjosa.

© EcoAlbania

Du hast beschrieben, dass gerade Menschen in ländlichen Gebieten dich anfangs nicht ernst genommen haben, weil du eine Frau bist. Hat dir die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen, Türen geöffnet?

Ja, ich denke schon. Regelmäßig in den Gemeinden im Vjosa-Tal präsent zu sein und ihnen zu vermitteln, dass ich sie bei der Lösung ihrer Probleme unterstützen möchte, trug dazu bei, dass die Leute mich akzeptiert haben. Wenn du versuchst, eine echte Verbindung mit ihnen aufzubauen, wenn du sie fragst, was sie brauchen und sie zum Beispiel dabei unterstützt, eine Protestaktion zu organisieren, dann nehmen sie dich ernst.  

Als ein wichtiges Gesicht der Kampagne „Save the Blue Heart of Europe“ exponierst du dich. Inwiefern bekommst du zu spüren, dass du dich gegen Projekte stellst, von denen einflussreiche Menschen profitieren wollen? 

Tatsächlich habe ich mich immer etwas gefürchtet, so exponiert zu sein. Man sieht mich ständig in den Medien, ich bin bei Protestaktionen präsent, und so weiter. Glücklicherweise hatte ich aber bislang noch keine Probleme. EcoAlbania, EuroNatur, Riverwatch, Patagonia, und all die anderen Partner im Rücken zu haben, macht es einfacher. Die Kampagne ist riesig und erfährt viel öffentliche Aufmerksamkeit, das bedeutet auch Schutz. Wenn ich allein wäre oder wir nur eine kleine Gruppe, wäre die Situation eine andere. Für Frauen ist es besonders riskant, sich so zu exponieren, denn es gibt viele Möglichkeiten, dich fertig zu machen. Über die Sozialen Medien oder mit Hilfe neuer Technologien ist es leicht, dir auf einer persönlichen Ebene zu schaden. Wenn einer Frau das passiert, vor allem hier in Albanien, bedeutet dies das Ende ihres Lebens in der Öffentlichkeit. 

Konzert in Tirana: Hände Weg von der Vjosa

Vjosa-Konzert auf dem Skanderbeg-Platz: Von der Bühne aus diese Menschenmenge zu sehen war für Besjana Guri ein Gänsehautmoment.

© Adrian Guri

Gibt es ein Ereignis, das eindrücklich gezeigt hat, dass du und deine Mitstreitenden von EcoAlbania nicht allein sind?

Einer der schönsten Momente war das Vjosa-Konzert in Tirana 2017. Es war riesig. Ich habe mich um die Organisation gekümmert und war damals im siebten Monat schwanger. Der Skanderbeg-Platz war voll. Um die 4.000 Menschen waren da und alle haben „Vjosa, Vjosa“ gesungen. Zum Schluss sind wir als Team auf die Bühne gegangen, um den letzten Song mitzusingen. Von dort oben sahen wir die Menschenmenge applaudieren. Das war für mich einer der größten Momente. Ich habe damals realisiert wie Viele wir bereits erreicht haben. Das gib dir Kraft, weil es dir zeigt, dass du etwas bewirkst. Am Anfang der Kampagne hatten wir so oft zu hören bekommen, wir würden die Entwicklung des Landes blockieren, weil wir uns gegen den Ausbau der Wasserkraft stellen.

Im vergangenen Jahr reisten „Die mutigen Frauen von Kruščica“ (Anm. Red.: EuroNatur-Preisträgerinnen 2019) aus Bosnien-Herzegowina nach Albanien an die Shushica. Wie war das?

Wir haben sie an die Shushica eingeladen, weil es dort genau andersherum ist als an der Kruščica. Hier sind es ausschließlich Männer, die protestieren und die Frauen sind unsichtbar. Unsere Idee war es, die Frauen an der Shushica mit der Geschichte der Frauen von Kruscica zu motivieren. Ich kannte sie bisher nur aus dem Film „Blue Heart“, aber jedes Mal, wenn ich diese Passage im Film sah, musste ich weinen. Es ist unglaublich, was diese Frauen durchgemacht haben, und ich habe großen Respekt davor. Ich war sehr glücklich, zumindest zwei von ihnen persönlich kennen lernen zu dürfen. Es tut gut, sich gegenseitig zu stärken. 

Was war bislang der wichtigste Moment in der Kampagne für die Vjosa? 

Ich würde sagen, es gab zwei. Der erste war 2017, als wir den Gerichtsprozess gegen das Wasserkraftprojekt Poçem gewonnen haben. Das war das erste Gerichtsverfahren zu einem Umweltprojekt in Albanien überhaupt. Ich war damals in die Arbeit mit der Lokalbevölkerung stark eingebunden und habe mich so sehr für die Menschen gefreut. Wir haben viele Glückwünsche erhalten und es kamen so viele Anrufe. Es war, als hätte ich gerade geheiratet (lacht). Der zweite Moment war die Ausweisung des Vjosa-Wildlflussnationalparks 2023. Etwas zu erreichen, von dem du zehn Jahre lang geträumt hast, ist ein überwältigendes Gefühl. 

Die aktuellen Entwicklungen in Albanien sind Besorgnis erregend, damit meine ich vor allem den wachsenden Druck auf die Natur durch den Ausbau des Tourismus. Ist die Geschichte um die Vjosa trotzdem noch eine Erfolgsgeschichte?

Ja! Seit der Ausweisung des Nationalparks gab es sehr viel Berichterstattung in den Medien, es kam viel in Bewegung und es sind neue Initiativen entstanden. Wir sind zum Mutmacher und Vorbild für andere NGOs in Albanien und darüber hinaus geworden, nicht erst seit der Ausweisung. Der Vjosa Nationalpark hat das Potenzial, ein Vorbild für gelungenen Flussschutz in Europa zu werden. Aber die Vjosa braucht uns nach wie vor! Zugegebenermaßen, als der Nationalpark ausgewiesen wurde, hatte ich gehofft, jetzt könnte ich meine Energie endlich auf konstruktivere Weise einbringen. Dann wurden wir damit konfrontiert, dass das Wasser der Shushica, einer der wichtigsten Nebenflüsse der Vjosa, für Tourismusinfrastruktur an der Küste abgeleitet werden soll und wir mussten wieder anfangen zu protestieren. Dieses Gefühl, zurückgeworfen zu werden, war schlimm. Aber wir haben uns wieder aufgerappelt und geben weiterhin unser Bestes.  

Was hat dir persönlich geholfen, diese Motivation wiederzufinden?

Es war nicht einfach, aber ich liebe, was ich tue. Ich hätte schon oft sagen können: ich will nicht mehr, das alles kostet mich zu viel Energie, ich träume sogar nachts von der Vjosa. Aber ich kann mir nicht mehr vorstellen, mich nicht für die Vjosa zu engagieren. Es ist eine Lebensaufgabe geworden, meine Mission. 

Angenommen, deine Tochter sagt dir eines Tages, dass sie in deine Fußstapfen treten möchte. Wie reagierst du?

Ich denke, ich wäre stolz auf sie. Ich würde meine Erfahrungen mit ihr teilen und sie unterstützen. 

Wenn du etwas auf eine Plakatwand in Tirana schreiben solltest, um anderen Frauen zu ermutigen, was wäre das?

Folge deinen Träumen, folge deiner inneren Stimme! Konzentriere dich auf das, was du wirklich liebst und wirklich erreichen willst! Wenn du etwas findest, das dich erfüllt, wird deine Begeisterung andere mitreißen. 

Besjana, herzlichen Dank für dieses inspirierende Gespräch! 

Interview: Katharina Grund 

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