Weltwassertag 2022: Grundwasser: „die Leber“ unserer Flüsse

In diesem Jahr steht der Weltwassertag unter dem Motto „das Unsichtbare sichtbar machen“ und legt besonderes Augenmerk auf die Bedeutung des Grundwassers.

Höhlenflohkrebs vergrößert

Sehr klein und doch enorm wichtig: Niphargus bajuvaricus, ein Verteter der Höhlenflohkrebse, die in Europa im Süßwasser von Höhlen oder im Grundwasser verbreitet sind.

© Andreas Fuchs
Hydrobiologe mit Pumpe und Eimer

Dr. Christian Griebler von der Universität Wien entnimmt eine Probe der Grundwasser-Fauna an der Bënçe, einem der Nebenflüsse der Vjosa.

© Joshua D. Lim

Radolfzell. Es gibt 100-mal so viel Grund- wie Oberflächenwasser – damit ist Grundwasser die quantitativ bedeutendste Süßwasserquelle.1 Der Großteil des Trinkwassers der Menschen stammt von hier. Ebenso wichtig: Ohne Grundwasser würden Flüsse trockenfallen oder erheblich an Wasserqualität einbüßen.

Die grundwasserführenden Sedimente sind eine lebende Ressource und Lebensraum einer beachtlichen Vielzahl von Tieren und Mikroorganismen, die für die Wasserreinigung entscheidend sind. Diese Organismen leben und arbeiten in der Dunkelheit und bleiben weitestgehend unbeachtet, aber ohne sie wäre unser Grundwasser verschmutzt und auch die Flüsse wären noch stärker belastet.

Die Grundwasserfauna ist wie ein lebendes Fossil, denn viele der Arten unter unseren Füßen entwickelten sich seit Millionen von Jahren isoliert. Ihre Gemeinschaften bestehen aus verschiedenen Arten von Krebstierchen, Milben, Schnecken und Würmern. Diese augen- und pigmentlosen Wesen der Dunkelheit leisten unverzichtbare Ökosystem-Dienstleistungen und sind unentbehrliche Öko-Ingenieure. Indem sie die Sedimente durcharbeiten und durchlüften, regen sie das Bakterienwachstum an und tragen zur Wasserreinigung, zum biologischen Abbau von Schadstoffen und zur Beseitigung pathogener Keime und Viren bei. Mit ihrem Leben in den Sedimenten fungieren sie als Leber der Flüsse.

Dr. Christian Griebler, Limnologie-Professor an der Universität Wien, gibt ein Beispiel: „Im Sommer 2021 untersuchte mein Team erstmals die Grundwasserfauna in den Sedimenten der Shushica und der Bençe, zweier Nebenflüsse der Vjosa in Albanien. In nur 20 Proben mit insgesamt 200-300 Litern fanden wir mehr als 5000 Grundwassertiere. Diese Proben enthalten zweifellos viele Arten, die der Wissenschaft bisher unbekannt sind.“ 

Geben und Nehmen zwischen Grundwasser und Flüssen

Flüsse stehen in ständigem Austausch mit dem Grundwassersystem, in dem sie eingebettet sind. Das Wasser fließt von der Oberfläche in die Sedimente, wo es von Tieren und Mikroorganismen gereinigt wird, und dann wieder in den Fluss zurück. Gesunde Grundwasser-Ökosysteme mit ihren „Working-Class Heroes“ sind solche mit einem funktionierenden Austausch zwischen lebendigen, dynamischen Flüssen und den Sedimenten unter ihnen.

Diese wichtige Verbindung zwischen Grundwasser und Flüssen leidet, wenn es den Flüssen schlechter geht, z.B. wenn sie begradigt oder Dämme errichtet werden. Davon kann die Grundwasser-Biodiversität Schaden nehmen, was wiederum auf die Wasserqualität zurückwirkt.2 Zusammengefasst: Gesunde Flüsse brauchen eine gesunde Grundwasserfauna – und umgekehrt.

Schutz des Grundwassers und seiner einzigartigen Biodiversität schützt auch die Flüsse

Einige der wertvollsten Grundwassergebiete befinden sich auf dem Balkan. Die Flüsse zwischen Slowenien und Griechenland suchen in Europa ihresgleichen und sind eine gewaltige Trinkwasserquelle für die lokalen Gemeinden.

Allerdings werden diese Lebensadern von mehr als 3.500 Staudammprojekten bedroht. Würden diese gebaut, würden sie die Grundwasserquelle großflächig zerstören. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die vielen unbekannten Grundwasserspezies wissenschaftlich zu beschreiben und ihren Beitrag zur Wasserreinigung zu erforschen, bevor sie durch immer stärkere menschliche Eingriffe aussterben. Hoffnung gibt, dass sich immer mehr Menschen der Bedeutung des Blauen Herzens Europas bewusst werden und sich für dessen Schutz einsetzen.


Hintergrundinformationen:

  • Die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ hat den Schutz der wertvollsten Flüsse auf dem Balkan zum Ziel. Die Kampagne wird von den NGOs Riverwatch und EuroNatur koordiniert und gemeinsam mit Partnerorganisationen aus den Balkanländern durchgeführt.
  • Die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ wird unter anderem von der Manfred-Hermsen-Stiftung unterstützt.
  • In diesem Video erhalten Sie einen Einblick in die Arbeit des Limnologie-Professors Dr. Christian Griebler.

Quellen:

  1. Schwartz, F.W. & Zhang, H. (2003) Fundamentals of Groundwater. John Wiley & Sons
  2. Griebler, C. & Avramov, M. (2015) Groundwater ecosystem services – a review. Freshwater Science, 34: 355-367
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