„Unser Kampf für die Wachteln ist kompromisslos!“
Am Ende einer sehr langen Nacht heißt es noch einmal Warten. Wann wird die Polizei endlich eintreffen? Kommen doch noch Vogeljäger zum Acker mit der Klangattrappe oder wurden sie womöglich gewarnt? Die Ungewissheit könnte an den Nerven zehren, doch Milan Ružić ist erfahren genug, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Milan, Geschäftsführer unserer serbischen Partnerorganisation Bird Protection and Study Society of Serbia (BPSSS), geht mittlerweile in seine elfte „Wachteljäger-Jagdsaison“. Er hat schon viel mitgemacht.
Meine Kollegin, Zugvogel-Projektleiterin Dr. Justine Vansynghel, und ich dürfen Milans Team eine Nacht lang begleiten. Wir werden erleben, wie die serbischen Vogelschützer illegale Lockanlagen aufspüren, wir werden gespannt auf alle nächtlichen Geräusche achten, werden uns zwischen Tabakfeldern verstecken, Wilderern auflauern und schließlich die Polizei rufen. Es wird eine Nacht voller neuer Erfahrungen werden – und eine Nacht mit sehr wenig Schlaf. Am Ende werden wir vielen Wachteln das Leben gerettet haben.
Milan Ružić und Kollegen im nächtlichen Einsatz
21 Uhr: Lagebesprechung im Büro unserer serbischen Partner von BPSSS in Novi Sad. Geschäftsführer Milan Ružić prüft die Facebook-Profile einiger bekannter Jäger des Landes. Haben sie für den kommenden Morgen eine möglicherweise illegale Jagdaktion angekündigt? Bald klicken wir uns gemeinsam durch die verschiedenen Profile, die Bilder sind teilweise schwer erträglich. Wie Großwildjäger posieren die Männer stolz vor erlegten Vögeln. Neben Wachteln sind zum Beispiel verschiedene Schnepfen- und Taubenarten zu erkennen, darunter Turteltauben, die in den zurückliegenden Jahren einen dramatischen Bestandsrückgang zu verzeichnen hatten und für die in Serbien ein striktes Jagdverbot gilt.
Ich bin erstaunt darüber, wie offen die Jäger mit ihrer Beute im Netz prahlen. Allein schon der Umfang der Jagdstrecke zeigt, dass viele Vogeljäger gegen die geltenden Jagdgesetze verstoßen haben müssen. Unter den Wilderern befindet sich auch ein gefeierter Opernsänger mit Auftritten in den großen Opernhäusern dieser Welt. Auf Facebook nutzt er die Bühne, um mit seinen „Jagderfolgen“ in Serbien zu prahlen. Der Fall zeigt exemplarisch wie korrupt das System in Serbien ist. Der Opernsänger aus dem Nahen Osten hat beste Beziehungen zur serbischen Elite, er braucht keine Sorge vor Strafverfolgung zu haben. „Leute wie er fühlen sich unantastbar“, sagt Milan frustriert, schaltet den PC aus und trommelt seine Kollegen von BPSSS zusammen.
Es ist Freitagabend und die erste Nacht der diesjährigen Wachteljagdsaison steht an. Die Stimmung bei Milan und seinen Kollegen sowie bei Justine und mir ist hin- und hergerissen zwischen Neugierde und nervöser Anspannung: Was wird uns erwarten? „Keine Nacht ist wie die andere“, sagt Milan, wir sollten auf alles gefasst sein. Er gibt letzte Anweisungen, zeigt auf einer Karte, welche Strecken heute abgefahren werden sollen, dann teilen wir uns in zwei Teams auf und los geht’s.
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Illegale Wachteljagd in Serbien
Hotspot der Wachtelwilderei
22 Uhr: Ich sitze mit Dr. Justine Vansynghel, Milan Ružić und Damir Trnovac in einem Auto. Damir ist bei BPSSS eigentlich für die Bärenschutzprojekte verantwortlich, aber die nächtliche Suche nach Klangattrappen zu unterstützen, ist für ihn Ehrensache. Damir und Milan sind ein eingespieltes Team. Wir fahren aus Novi Sad heraus in südöstliche Richtung, die Lichter der Autobahn gleiten an uns vorüber. Nach einiger Zeit biegen wir auf kleinere Straßen ab, schließlich lenkt Damir uns auf einen Feldweg. Milan hat auf der Karte in seinem Smartphone die Orte lokalisiert, wo er und seine Kolleginnen in den vergangenen Jahren Lockanlagen gefunden hatten. Über die Jahre ist so ein dichtes Netzwerk an Spots entstanden. „Viele Wilderer kehren immer wieder an die selben Stellen zurück“, sagt Milan.
Damir stoppt den Wagen, zählt bis zehn. Bevor wir aussteigen, muss sich der vom Pickup aufgewirbelte Staub erst legen. „Ansonsten werden wir die ganze Nacht husten“, sagt Damir mit einem Lachen. Milan und Damir lauschen nach Lockanlagen; sie legen dabei ihre Hände wie Schalltrichter an die Ohren. Nichts. Weiter geht’s!
Am nächsten Acker das gleiche Procedere. Wir haben in dieser Nacht den sogenannten Supermond. Der riesige Himmelskörper taucht die flache ausgetrocknete Landschaft der Vojvodina in milchiges Licht. Auf einmal imitiert Milan die Geräusche von Mäusen, erstaunlich realistisch. „Das lockt Eulen an, die fliegen einem manchmal fast direkt ins Gesicht.“ Justine und ich wollen es nicht so recht glauben, doch dann nähert sich uns tatsächlich einer der nachtaktiven Vögel und dreht erst ab, als er erkennt, dass hier nichts zu holen ist. „Kleiner Spaß, ich mache das nicht allzu oft“, sagt Milan augenzwinkernd.
Auch beim nächsten Stopp hören wir nichts. Wobei man das so nicht sagen kann, die Nacht ist voller Geräusche: Hier ruft ein Vogel, dort ein Reh; von der Straße hört man ein Auto vorbeifahren, vom Bauernhof dringt Hundegebell zu uns herüber, in das sich irgendwann das Heulen eines Schakals mischt. Nur nach Klangattrappen, die Wachteln anlocken sollen, lauschen wir vergeblich. Die Szenerie scheint friedlich; kaum vorstellbar, dass diese Region in Europa einer der Hotspots für die Wachteljagd sein soll. Doch es ist bittere Realität: Von Mitte August bis Anfang September findet auf den abgeernteten Äckern der Vojvodina jedes Jahr ein Vogelmassaker statt.
Die Wachteljäger schießen die Tiere nicht für den Verzehr, sondern überwiegend zum Spaß. Sie nennen es Sport, aber eigentlich ist es ein Abschlachten.
Zähe Stunden
1.30 Uhr: Wir sind in dieser Nacht bereits etliche Kilometer gefahren, haben an unzähligen Ackerrändern gehalten, doch keine Lockanlagen ausfindig machen können. Dies ist natürlich eine gute Nachricht, denn es, bedeutet dass der der Jagddruck ein wenig nachlässt. „Früher war die Landschaft hier förmlich mit Klangattrappen überzogen“, erzählt uns Milan während der Fahrt. „An einigen Standorten waren die Geräte den gesamten August und September rund um die Uhr aktiv, die Auswirkungen entsprechend verheerend.“ Milan Ružić geht davon aus, dass jede Klangattrappe an die 100 Wachteln anlockt, die dann abgeschossen werden. Ein enormer Aderlass für die gesamteuropäische Population.
Wir halten uns mit Kaffee und Energydrinks wach, die Chipstüten rascheln, die Witze werden flacher. Damir und Milan vertreiben sich die Fahrtzeit zwischen den Spots, an denen wir halten und lauschen, mit dem Singen abgewandelter Rock-Klassiker, „Highway to Quail“ ist einer davon (der englische Name für Wachtel lautet quail). Nach müde kommt doof…
Justine und ich nicken auf der Rückbank immer mal wieder ein, doch als Milan eine Schleiereule auf einem der Pfähle an der Straße entdeckt, sind wir für einen Moment wieder hellwach. Etwas später treffen wir mit dem zweiten Team zusammen. Die Vogelschützer berichten, dass sie eine Klangattrappe ausfindig gemacht und auch Kontakt mit Wilderern gehabt haben. Diese hätten unwirsch reagiert und seien schließlich mit der Lockanlage geflüchtet. Um die Polizei zu rufen, ging alles zu schnell. Der Job, den unsere Partner in Serbien leisten, ist nicht ungefährlich.
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Heimlicher und gefährdeter Hühnervogel
4.30 Uhr: Mittlerweile sind alle vier Autoinsassen müde, so eine Nacht ohne Schlaf zieht sich. Wieder halten wir am Rande eines Ackers, lauschen – und werden diesmal fündig! Eindeutig können wir den bekannten Wachtelschlag vom Feld hören: Die schnellen, rhythmischen, sich mehrfach wiederholenden „BÜTT büllÜTT“-Töne sind unverwechselbar. Es dringt in einer Intensität und Ausdauer an unsere Ohren, die keinen Zweifel lässt: Die Rufe kommen vom Band.
Just in dem Moment, als wir aussteigen wollen, entdeckt Milan Autolichter. Ein Trecker nähert sich, hält schließlich auf der anderen Seite des Ackers, ihm folgt ein Kleinbus. Sind das die Wilderer? Auf jeden Fall steigt niemand aus den Fahrzeugen. Wir warten noch eine Weile, dann entscheiden wir, dass Damir und ich möglichst unauffällig die Klangattrappe suchen und uns die Anlage einmal aus der Nähe anschauen. Sind die Lockanlagen, die in der Regel über eine Autobatterie betrieben werden, aus der Entfernung bereits gut zu hören, sind sie aus der Nähe ohrenbetäubend. Als Damir und ich uns zurück zum Auto begeben, geht die Lockanlage auf einmal aus. Milan vermutet, dass die Leute im Trecker, beziehungsweise im Van – sofern es sich bei ihnen nicht selbst um die Vogeljäger handelt – den Besitzer der Klangattrappe gewarnt haben. Die neueren Modelle lassen sich mittlerweile bequem von zu Hause aus über das Smartphone bedienen. Wir vier sind etwas unschlüssig, was nun zu tun ist.
Good cops, bad cops
5.45 Uhr: Wir observieren seit einer knappen Stunde die Ackerfläche aus unserem Auto heraus, das wir zum besseren Sichtschutz auf einem schmalen Weg zwischen zwei Tabakfeldern geparkt haben. Alles bleibt ruhig, von Wilderern keine Spur. Schließlich entscheidet Milan, die Polizei zu rufen. Wenn die Wachteljäger doch noch kommen, werden sie auf frischer Tat ertappt; wenn nicht, wird die Polizei zumindest die Lockanlage konfiszieren.
Das Gespräch mit dem diensthabenden Polizisten verläuft allerdings unbefriedigend. Milan berichtet uns, dass aufgrund Personalmangels und baldigem Schichtwechsel niemand kommen könne; außerdem sei die Klangattrappe ja aktuell nicht mehr in Betrieb, es läge somit keine illegale Handlung vor. Milan kennt solche Ausflüchte. Mit all seiner Erfahrung beharrt er auf einem Polizeieinsatz, da hier ein Fall von gesetzeswidriger Jagd vorliege. Das Telefonat endet uneindeutig und nicht gerade freundlich. Milan Ružić vermutet, dass der Polizist, mit dem er gesprochen hat, entweder selbst Wachteljäger ist oder den Besitzer der Klangattrappe kennt und diesen schützen will. „Mitunter ist es mühsam. Aber es gibt auch sehr engagierte Polizisten, die der Sache wirklich nachgehen“, ergänzt Damir.
Die lange Nacht steckt uns allen in den Knochen, das ungewisse Warten auf die Polizei macht es nicht besser. Wir dösen immer wieder ein. Als die Sonne endlich aufgeht, ist zwar weder von Wilderern, noch von Gesetzeshütern etwas zu sehen, aber zumindest können wir nun Vögel beobachten. Steppenmöwen, Schafstelzen und Rohrweihen fliegen über uns hinweg. Milan macht uns auf einen Wiedehopf aufmerksam, Justine entdeckt einen Schwarzstirnwürger.
7.15 Uhr: Endlich, zwei junge Polizisten sind angekommen. Sie hören sich Milans Ausführungen an, machen eine „Tatortbegehung“, konfiszieren die Klangattrappe, befragen die Landwirte und ihre Arbeiter, die in den frühen Morgenstunden mit der Ernte begonnen haben. Milan bestätigt den positiven Eindruck, den Justine und ich aus der Ferne gewonnen haben. „Mit den jungen Polizisten läuft die Zusammenarbeit für gewöhnlich besser. Viele von ihnen sind motiviert und tatsächlich interessiert daran, Wildtierkriminalität aufzudecken, auch wenn sie wie diese beiden noch nie zuvor davon gehört haben.“
8 Uhr: Die letzte Station dieser langen Nacht ist die Polizeiwache der Kleinstadt Inđija. Während Milan in einem der Büros Anzeige gegen Unbekannt aufgibt und die Polizisten mit Infomaterial zum Thema Wachteljagd versorgt, sitzen Justine, Damir und ich draußen auf dem Flur. Die Müdigkeit überkommt uns nun vollständig und wir nicken erschöpft, aber mit einem befriedigenden Gefühl ein: In dieser Nacht haben wir schließlich vielen Wachteln das Leben gerettet und mindestens einem Vogeljäger den Morgen vermiest.
EuroNatur-Projektleiterin Dr. Justine Vansynghel und Christian Stielow, der Autor dieses Artikels, sind gemeinsam nach Serbien gereist, um die Arbeit von Milan Ružić und seinen engagierten Kollegen von BPSSS sowie freiwilligen Vogelschützerinnen zu erleben. Die beiden empfehlen, eine gewisse Hitzeresistenz mitzubringen, wenn man Ende August nach Serbien reist und die Besichtigung der schönen Altstadt von Novi Sad auf die frühen Morgen- oder Abendstunden zu verlegen.