Im Rahmen des Projekts „LIFE Lynx“ wurden seit 2017 insgesamt 18 Luchse in den Karpaten gefangen und nach Slowenien und Kroatien überführt, um die dortigen Populationen zu verstärken. Das Projekt lief äußerst erfolgreich, auch aufgrund der engen Zusammenarbeit mit den Jägern. Wir haben mit Maja Sever und Rok Černe von der slowenischen Forstbehörde über das Projekt gesprochen.
Der Luchs ist zurück in den Dinariden. Inwiefern ist das eine gute Nachricht für die Natur?
Maja Sever: Der Luchs war in den Dinariden verschwunden, wurde später wieder angesiedelt, doch die Anzahl der Tiere war wiederholt auf ein sehr geringes Niveau gesunken. Es drohte eine genetische Armut einzutreten, die für die Luchse in Slowenien und Kroatien das Ende hätte bedeuten können. Dass nun wieder rund 150 Exemplare durch die Berge und Wälder der Alpen und Dinariden streifen, ist für die Gesamtpopulation des Eurasischen Luchses eine fantastische Nachricht.
Rok Černe: Ohne den Luchs wäre die Evolution hier gestoppt. Alle Arten stehen in komplexen Wechselbeziehungen miteinander. Das Verhalten der Beutetiere wird durch die Präsenz Großer Beutegreifer entscheidend geprägt. Rehe verhalten sich dort wesentlich scheuer, wo Wölfe oder Luchse vorkommen. Sehr bekannt ist das Beispiel Yellowstone Nationalpark mit den dortigen, ganz überwiegend positiven Veränderungen, seit der Wolf zurückgekehrt ist. Doch auch in Mitteleuropa verhält es sich nicht viel anders. Wir brauchen die Großen Beutegreifer für ein funktionierendes Ökosystem.
Die Natur profitiert also von mehr Luchsen. Kann auch die lokale Bevölkerung Vorteile aus der Rückkehr der Luchse ziehen?
Maja Sever: Die Menschen, die in den Bergdörfern der Dinariden wohnen, leben in einer eher strukturschwachen Region. Der Tourismus ist hier eine wichtige Einnahmequelle. Wir haben im Rahmen des Projekts das touristische Angebot für Luchsinteressierte weit geöffnet. Es gibt einen rund 90 Kilometer langen Wanderweg durch Slowenien und Kroatien, der an vielen Punkten Informationen zu den Luchsen bietet. Die Wanderer werden vermutlich keine Luchse sehen, weil die Tiere extrem scheu sind, aber sie können sich über die Katzen, ihren Lebensraum und ihr Verhalten informieren. In Zusammenarbeit mit der österreichischen Fahrrad-Community GravGrav wurde der Weg auch für Radlerinnen und Mountainbiker angepasst.
Rok Černe: Zudem gibt es kleinere Luchs-Infopfade, die vor allem für Schulklassen interessant sind. Da geht es auch um die spielerische Erschließung des Themas. Einer dieser Infopfade wurde von der slowenischen Tourismusbehörde 2023 sogar als bester Themenpfad ausgezeichnet.
Sie haben die Jägerinnen und Förster von Anfang an mit ins Boot geholt. Warum war gerade diese Gruppe so wichtig für ein Gelingen des Projekts? Und wie lief die Zusammenarbeit?
Rok Černe: Schon 1973, als zum ersten Mal Luchse in den Dinariden aktiv wiederangesiedelt wurden, führten Jäger und Förster die Wiederansiedlung durch. Damals ging es vor allem um die Wiedereinführung einer ausgerotteten Art, aber auch um die Einführung einer attraktiven Art zu Jagdzwecken. Diesmal ging es ausschließlich um den Artenschutz, doch die Jäger und Försterinnen waren nicht weniger engagiert. Die slowenische Forstbehörde und der nationale Jagdverband waren Partner im „LIFE Lynx“-Projekt und haben sich klar für das Projekt ausgesprochen. Auf der lokalen Ebene waren die Revierjäger und -försterinnen stark involviert. Jede einzelne Wildtierkamera im Gelände haben wir zusammen mit den Jägern aufgestellt; sie kennen die Luchspfade am besten. Jäger waren dann auch verantwortlich für die Instandhaltung der Fotofallen.
Einen Luchs mit einer Fotofalle zu fangen, war eine große Herausforderung für die Jäger. Quasi wieder eine Trophäenjagd, diesmal allerdings mit lebenden Tieren.
Maja Sever: Die Jäger und Försterinnen haben sich um jene Luchse gekümmert, die auf ihre Auswilderung in den Gehegen gewartet haben. Und schließlich waren sie es, die den Tieren die Tür in die Freiheit geöffnet haben, ein emotionaler Moment. Zurückblickend hat die Zusammenarbeit sowohl mit der Jagdbehörde als auch mit den lokalen Jägern prima geklappt. Zahlen belegen das: 90 Prozent der Försterinnen und Jäger sehen die Anwesenheit der Luchse in Slowenien positiv. Ohne sie hätten wir „LIFE Lynx“ nicht stemmen können.
Lässt sich von der Rückkehr der Luchse in den Dinariden auch etwas für den Umgang mit anderen Großen Beutegreifern lernen?
Maja Sever: In Slowenien kommen Wolf, Bär und Luchs vor; für letztgenannte Art ist die Akzeptanz in der Bevölkerung sicher am höchsten. Es gibt keine Zwischenfälle mit Menschen und auch Nutztierrisse durch Luchse sind sehr selten. Dennoch haben wir viele Gespräche mit der lokalen Bevölkerung geführt und ihre eventuellen Sorgen ernst genommen.
Es ist wichtig, eine Balance zwischen den Bedenken der Einheimischen und den Naturschutzzielen zu finden. Nur so ist das langfristige Überleben von Großen Beutegreifern in Mitteleuropa möglich.
Rok Černe: Ich plädiere für einen durchaus pragmatischen Umgang mit dem Management Großer Beutegreifer. Sollte es ein Tier geben, das eine Bedrohung für den Menschen darstellt, sollten wir es entnehmen. Falsch verstandener Tierschutz kann dem Artenschutzgedanken schaden.
Das Projekt ist im Frühjahr 2024 ausgelaufen; ihr beide wart von Anfang an dabei. Was war euer persönliches Highlight während „LIFE Lynx“?
Rok und Maja einstimmig: Müssen wir uns auf eines beschränken? Da waren so viele! Das größte Highlight ist vermutlich die Geschichte von Luchs Goru. Er kam Ende April 2019 aus den Karpaten zu uns und nach drei Wochen des Umherstreifens ist er auf Teja gestoßen, ein lokal ansässiges Weibchen. Die Paarungszeit war bereits vorbei, wir hatten also damit gerechnet, dass beide wieder ihrer Wege gehen. Luchse sind nämlich extreme Einzelgänger. Doch ganz offensichtlich hat es zwischen Goru und Teja gefunkt. Im Sommer gebar sie ein Junges, was zu diesem späten Zeitpunkt sehr ungewöhnlich ist. 2020 haben sich die beiden erneut gepaart, diesmal zur „normalen“ Ranzzeit im Winter und mit mehr Nachwuchs. Mittlerweile ist Goru Großvater. Wir sind sehr stolz auf ihn.
Das Interview führte Christian Stielow.