Unsere Meinung - Die Bedeutung lokaler Energiegemeinschaften

Solardach in Kutë in Albanien Solardach in Kutë in Albanien
© Christiane Schmidt

Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften: ein unverzichtbarer Meilenstein im Übergang zu einem nachhaltigeren, effizienteren und gerechteren Energiesystem

19. Oktober 2022

"Klima-Angst"

junge Menschen bei einer Demo

Klima-Demos können ein konstruktiver Weg sein, um mit seiner "Klima-Angst" umzugehen.

© Markus Spiske; Pexels

Die Wissenschaft, die UNO, die Zivilgesellschaft, NGOs und viele Politiker*innen warnen vor den zerstörerischen Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme, Gesundheit, Wirtschaft und Demokratie in den kommenden Jahrzehnten. Schon jetzt sind Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen und andere Extremwettererscheinungen fixer Bestandteil der Nachrichten. Bei viele Menschen stellt sich ein Gefühl der „Klima-Angst“ („climate anxiety”) ein, das von der Klimawandel-Anpassungsplattform Climate-ADAPT als Aspekt des breiter gefassten Phänomens der „Umwelt-Angst“ definiert wird. Umwelt-Angst bezeichnet die Auswirkungen auf unsere Psyche durch die Gefährdungen, die sich aus der Umweltzerstörung ergeben.

Klima-Angst kann sich bei manchen Menschen intensiv und lähmend auswirken. Es handelt sich aber nicht um eine Krankheit, sondern um eine nachvollziehbare Reaktion auf das gegenwärtige Ausmaß der Umweltzerstörung. Sie kann sogar als Ressource angesehen werden, wenn die Betroffenen mit ihren Emotionen umgehen können und einen konstruktiven Weg finden, sich gegen den Klimawandel zu engagieren. Ich leide selbst an Klima-Angst, aber ich habe mich entschlossen, mich meinen Gefühlen zu stellen und für die Umwelt zu arbeiten.

Energiegemeinschaften

Eine Möglichkeit, wie man mit seiner Klima-Angst umgehen kann, ist die Teilnahme an Energiegemeinschaften. Diese können als Gesellschaften, Kooperativen, NPOs, KMUs oder sonstige partnerschaftliche Formen organisiert sein. Energiegemeinschaften ermöglichen den Bürgerinnen und Bürgen sowie verschiedenen Marktteilnehmern, zusammenzuarbeiten, um ein stärker dekarbonisiertes und flexibles Energiesystem aufzubauen. Das bringt viele Vorteile für das lokale und das gesamte Energiesystem und als Zusatznutzen fühlen sich die Einzelnen weniger isoliert und überwältigt.

In einer Zeit der multiplen, ineinandergreifenden Notlagen – Umweltkrise, Klimakrise, Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie, Putins Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen für die globale Wirtschaft und Sicherheit – braucht es einen holistischen Ansatz, der ein breites Spektrum an Lösungen in den Blick nimmt. Energie im Gemeinschaftseigentum ist ein konkreter Weg aus diesem Krisengemenge. Indem wir die Energiegewinnung und das Infrastrukturmanagement direkt den Gemeinschaften anvertrauen, können wir gleichzeitig die ökologischen, sozialen und Klima-Herausforderungen anpacken.

Die Abhängigkeit von schmutzigen fossilen Brennstoffen muss beendet und der Wandel von einem zentralisierten zu einem 100% erneuerbaren, dezentralisierten, sozial fairen und demokratisch verwalteten Energiesystem beschleunigt werden.

Menschen vor einem Gebäude mit Solardach

Solardach in Kutë: Das Solarprojekt im Dorf Kutë an den Ufern der Vjosa ist eine Neuheit für Albanien, da dies das erste Gemeinschaftsprojekt zur Erzeugung von Solarenergie ist. Es zielt darauf ab, ein unabhängiges System zur Energieerzeugung zu installieren und stellt den Beweis dar, dass es auch ohne Staudämme an der Vjosa geht.

© Christiane Schmidt

Bürgerteilhabe im EU-Energiesystem

Im Jahr 2020 war der Energiemix in der EU noch immer von fossilen Brennstoffen und Atomenergie (82,4%) dominiert, während die Erneuerbaren nur 17,4% des gesamten Energieverbrauchs ausmachten. Um dieses deprimierende Verhältnis zu ändern und die ambitionierten Klimaneutralitätsziele der EU-Kommission für 2050 zu erreichen, müssen alle Teile der Gesellschaft und alle Wirtschaftssektoren tätig werden. In Energiegemeinschaften vereinte Bürgerinnen und Bürger können eine Schlüsselrolle bei der grünen Transition spielen, indem sie durch die Schaffung von lokalen und qualifizierten Arbeitsplätzen, die Verringerung der Energiearmut und die Verbesserung der Energieeffizienz zur Verbreitung von erneuerbaren Energien und deren öffentlicher Akzeptanz beitragen.

Die Entwicklung der EU-Energiepolitik seit den 1990ern zeigt, dass die EU-Institutionen die Liberalisierung und die Entflechtung von Energieerzeugung, -übertragung und -verteilung im EU-Sekundärrecht verankert haben. Dies habe auch die Bürger stärken sollen, insbesondere durch Energiegemeinschaften. Liberalisierung und Entflechtung öffneten den europäischen Energiemarkt für neue Akteure, darunter Gemeinschaften, Gebietskörperschaften und KMUs. Diese Prozesse förderten eine stärker polyzentrische Steuerung des Energiesystems.

Erstmals hat die EU die Energiegemeinschaften 2019 im „Clean Energy for all Europeans Package“ (CEP) anerkannt. Im CEP werden sowohl Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (Renewable Energy Communities, RECs) als auch Bürger-Energiegemeinschaften (Citizens Energy Communities, CECs) als Rechtspersönlichkeiten definiert, die auf freiwilliger und offener Teilnahme sowie gemeinsamen Werten beruhen. Ihr vornehmlicher Zweck besteht darin, ökologische, ökonomische oder soziale Vorteile für die Gemeinschaft zu bewirken. Innerhalb der EU gibt es eine große Bandbreite an Formen von Gemeinschaftsenergie, aber ein Großteil der Energiegemeinschaften kann dazu beitragen, das Energiesystem zu dekarbonisieren.

Die Vorzüge von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften

Solarpanels und Windkraftanlage

Energie aus Sonne und Wind ist wirklich erneuerbar; beide Energieformen können gut von Ernergie-Gemeinschaften gemanagt werden.

© PetroP/despositphotos

Heute nehmen immer mehr Bürgerinnen und Bürger das Heft des Handelns an sich und werden „Prosumenten“. Als aktive Teilnehmer am Energiesystem produzieren, konsumieren, speichern und verkaufen Prosumenten Energie. Organisationen wie REScoop und die European Renewable Energies Federation repräsentieren etwa 3000 Energiegemeinschaften, die 1,25 Millionen EU-Bürger*innen umfassen. In 20 Jahren könnte der Großteil des Energiebedarfs in der EU von den Bürgerinnen und Bürgern gedeckt werden, die selbst Energie erzeugen.

Wo die Menschen in Erneuerbare-Energie-Projekte eingebunden sind, steigt in der Regel auch die Akzeptanz für die Erneuerbaren in der breiten Öffentlichkeit. Diese Akzeptanz beschleunigt den Ausbau der Erneuerbaren und trägt zur Verminderung der Treibhausgasemissionen und zum Erreichen der Klimaneutralitätsziele 2050 bei. Gleichzeitig werden dabei durch sorgfältige und partizipative Planung die negativen Folgen für die Natur reduziert.

Durch Trainingsprogramme, Workshops und Bewusstseinsbildung lernen die Mitglieder von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, wie sie ihren Energieverbrauch vermindern und in ihrem Zuhause, beim Heizen und Kühlen sowie in der Mobilität Energieeffizienzmaßnahmen umsetzen können. Die Sparguthaben, mit denen die EU-Bürger*innen oft ohne es zu wissen schädliche Fossil-Unternehmen fördern, könnten in klimafreundliche Lösungen umgeleitet werden, die für die lokale Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und das europäische Innovationssystem große Vorteile bringen.

Und nicht zuletzt können die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften führend dazu beitragen, Energiearmut von Haushalten zu identifizieren und zu beheben. Wenn die Menschen die Mittel besitzen, ihre eigene Energie zu erzeugen, haben sie stärkere Kontrolle über die Kosten und keinen Anreiz, ihre Gemeinschaftskollegen zu übervorteilen. Infolge des Angriffs auf die Ukraine sind die Energiepreise explodiert. Jetzt können die Energiegemeinschaften eine noch wichtigere Rolle spielen, um die verletzlichsten Teile der EU-Bevölkerung zu schützen.

Die Zukunft gemeinschaftlicher Energie – verbliebene Barrieren abbauen

mehrere Windkraftanlagen in flacher Landschaft

Bei der Beurteilung geeigneter Gebiete für die umweltfreundliche Erzeugung erneuerbarer Energie sollten sich die Mitgliedstaaten mit den lokalen Behörden abstimmen, um die Bürgerbeteiligung zu erleichtern. Dies gilt insbesondere für Windparks.

© casto/despositphotos
Mann baut Solarpanels aufs Dach

Unnötige Barrieren beim Ausbau der Solarkraft auf Dächern wie zu große Mindestabstände müssen beseitigt werden.

© Bill Mead/unsplash

Es gibt jedoch nach wie vor Barrieren, die eine größere Verbreitung der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften verhindern. Der Plan REPowerEU, den die Europäische Kommission am 18. Mai 2022 beschlossen hat, um die EU von Öl und Gas aus Russland unabhängig zu machen, versagt dabei, die Bürger*innen und die Energiegemeinschaften in die Lage zu versetzen, ihr Potential für die Anwendung erneuerbarer Energien auszuschöpfen.

Als Expertin für Energiepolitik glaube ich, dass es noch brachliegende Möglichkeiten gibt. Die Mitgliedstaaten und die EU könnten Maßnahmen ergreifen, damit die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften eine wichtigere Rolle für Klimaneutralität und Energiesicherheit spielen können. Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass lokal produzierte erneuerbare Energie und die dazugehörige Infrastruktur in Gemeinschaftsbesitz sein können. Das kann durch eine entsprechende Umsetzung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED) in nationales Recht erreicht werden.

Die Europäische Kommission sollte außerdem die Mitgliedstaaten dazu aufrufen, in ihre nationalen Energie- und Klimapläne (NECPs) Zielvorgaben für durch RECs erzeugte erneuerbare Energie aufzunehmen, wie es in der aktuellen RED vorgesehen ist. Darüber hinaus könnten die NECPs den RECs Informationen für die Planung bereitstellen. Dies würde die nationalen und lokalen Behörden dazu anhalten, Bürger*innen und Gemeinden systematisch in den Ausbau erneuerbarer Energie einzubeziehen.

Bei der Kartierung und Beurteilung geeigneter Gebiete für die nachhaltige, umweltfreundliche und effiziente Erzeugung erneuerbarer Energie sollten sich die Mitgliedstaaten mit den lokalen Behörden abstimmen, um die Bürgerbeteiligung zu erleichtern. Insbesondere ist ein transparenterer Zugang zu Informationen erforderlich, unter anderem indem die Planunterlagen digital bereitgestellt und Kontaktstellen für Projekte eingerichtet werden. Die EU sollte den Kommunalverwaltungen angemessene Mittel zur Verfügung stellen, um diese Zusammenarbeit aufzubauen.

Eine effektivere Kooperation ist auch zwischen den RECs und den Netzbetreibern erforderlich, um ein flexibleres, dezentralisiertes Energiesystem gestalten zu können. Grundlage dieser Zusammenarbeit sollte eine Vereinbarung sein, die den RECs den Zugang zum Netz ermöglicht, ohne dass sie mit übermäßigen administrativen und finanziellen Belastungen konfrontiert werden. Darüber hinaus könnten die Mitgliedstaaten auch erwägen, ein bestimmtes Maß an Netzkapazität spezifisch für die Nutzung durch RECs auszuweisen.

Inmitten der Energiekrise könnten RECs zu einer Anlaufstelle für Bürger*innen werden, wo sie Beratung zum Energiesparen, zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Senkung der Energierechnungen erhalten können. Damit würde auch das Konzept der RECs als ein wesentliches Element eines transparenteren und partizipativen Energiesystems weiterverbreitet werden.

Derzeit wird die RED als rechtliche Basis der RECs überarbeitet, um den im europäischen Green Deal verankerten Klima- und Energiezielen und den im REPowerEU-Plan behandelten Notfällen besser zu entsprechen. Eine größere Verbreitung von RECs in der EU wird nur möglich sein, wenn die Mitgliedstaaten alle REC-bezogenen Bestimmungen der RED umsetzen, indem sie angemessene nationale Rechtsrahmen schaffen. Diese sollten bestehende Hindernisse beseitigen und Synergien zwischen der RED und korrelierenden Rechtsvorschriften wie der Energieeffizienzrichtlinie und der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden verbessern.

Erfahrt mehr über unsere Ideen, wie eine echte Erneuerbare-Energie-Richtlinie aussehen muss, in unserem Blog RED4Nature.

EuroNatur-Mitarbeiterin
© BirdLife

Autorin: Marilena D'auria arbeitet im EuroNatur-Büro in Brüssel als Assistentin für Politik und Interessenvertretung. Sie hat einen Master in Internationale Beziehungen und Europastudien an der Universität Cesare Alfieri in Florenz. Ihre Masterarbeit schrieb sie über die Governance der Energieunion und Klimaschutzmaßnahmen. Mit ihrem Studium und ihrer Arbeitserfahrung in Umwelt-NGOs hat sie sich in Umwelt- und Energiepolitik und die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Bereichen vertieft.

Wir freuen uns über Ihre Gedanken zum Blog-Beitrag. Schreiben Sie Marilena eine Mail mit Ihrer Meinung zu diesem Thema: marilena.dauria(at)euronatur.org

 

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