Widerstand zweckvoll: Skrupelloses Staudammprojekt in Albanien

Einer der größten Stauseen Europas könnte schon bald im Nordosten Albaniens entstehen – ein trauriger Rekord. Durch das Projekt Skavica würde der letzte freifließende Teil des Schwarzen Drin aufgestaut. Zehntausende Menschen sollen für das Staudammprojekt umgesiedelt oder nahezu von der Außenwelt abgeschnitten werden. Zwei junge Frauen organisieren den Protest.

Zwei Frauen sitzen auf einer Wiese und schauen auf den Fluss hinunter. Zwei Frauen sitzen auf einer Wiese und schauen auf den Fluss hinunter.

Trügerisches Idyll: Im Unterlauf ist der Schwarze Drin bereits aufgestaut. Der Stausee im Oberlauf soll noch um ein Vielfaches größer werden. Mindestens 35 Dörfer würden darin versinken.

© Richard Burton

Wie wichtig es ist, Menschen in Albanien zu mobilisieren

Fruchtbare Felder, Obstbäume mit Mirabellen, Kirschen und Pflaumen, Hecken voller Vögel und Insekten, artenreiche Auen - all das würde im Skavica-Stausee ertrinken. Diese Aussichten haben die beiden Lehrerinnen Majlinda Hoxha und Kimete Mazari zu Aktivistinnen gemacht. Seit Jahren widmen sie ihre Energie nunmehr einem Ziel: Sie wollen erreichen, dass die Menschen im Dibra-Tal für ihre Rechte einstehen, an die eigene Wirksamkeit glauben und sich gegen das Staudammprojekt wehren. 

„Jeder, der nach Dibra kommt, fragt geschockt: Was, dieses wunderschöne Tal soll geflutet werden?“ Die albanische Umweltaktivistin Majlinda Hoxha könnte weinen, wenn sie über das Wasserkraftprojekt Skavica spricht, aber weinen will sie nicht mehr. Majlinda hat deswegen schon genug Tränen vergossen. Stattdessen kämpft sie seit über zwei Jahren aktiv gegen den Untergang ihrer Heimat, und sie ist müde. Im Schlaf sieht sie die Gesichter von Menschen, die alles verlieren, was sie sich aufgebaut haben. Noch sind es nur Albträume, doch seit Majlinda als Aktivistin unterwegs ist, kann sie das Kopfkino nicht mehr abschalten. Kein Wunder, denn um ihnen helfen zu können, hört die studierte Lehrerin den Menschen in den Dörfern genau zu. Ihr Herz ist schon ganz schwer von Sätzen, aus denen die Sorge spricht, aber auch die Wut: „Wenn sie uns nehmen, was wir haben, werde ich meine albanische Flagge verbrennen. Wenn wir unser Leben in Dibra verlieren, verlieren wir unsere Identität. Skavica ist wie ein Krebs, gegen den wir noch keine Medizin gefunden haben.“ 

  • Keine „saubere und grüne“ Energiegewinnung!

    Wasserkraft ist alles andere als grün. Das zeigt das Großstaudammprojekt Skavica einmal mehr: Betroffen wären unter anderem der vom Aussterben bedrohte Balkanluchs, mehrere Fischarten, die es nur auf dem Balkan gibt, traditionell bewirtschaftetes Ackerland, Wiesen und Weiden, wertvolle Erlen-Weiden-Auwälder, in denen die weltweit gefährdete Turteltaube, Fischotter und Eisvögel leben. Mit der Überflutung des vermutlich größten Auwaldes in Albanien ginge eine riesige Kohlenstoffsenke verloren. Die Emissionen des Skavica-Stausees hingegen wären enorm. 

Ein Bauer schaut über seine Felder im Dibra-Tal

Sorgenvoller Blick: Das Projekt "Skavica" schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Dibra-Tal.

© Richard Burton

„Die Leute haben Angst“

Bei Protestaktionen reicht Majlinda Hoxha den Frauen und Männern das Megafon und bestärkt sie, ihre Meinung zu äußern. Doch so einfach ist das nicht. Ratschläge für Protestveranstaltungen erhält die Aktivistin schon, doch öffentlich zeigen wollen sich die Wenigsten. „Fast alle hier sind gegen das Wasserkraftprojekt, aber kaum jemand sagt das laut. Die Leute haben Angst.“ Die Chance gehört zu werden, erscheint kleiner als die Gefahr, den Job zu verlieren oder anderweitig abgestraft zu werden. Einige berichten, dass sie Probleme bekamen, wenn sie einen kritischen Kommentar in den Sozialen Medien gepostet haben. Es gibt überall Leute, die für die Regierung arbeiten und unliebsame Aktivitäten melden. „An der letzten Protestaktion nahm ein Mann teil, der sehr krank ist. Jemand fragte ihn: ,Warum bist du hier? Soll ich dafür sorgen, dass deine Sozialleistungen eingestellt werden?‘ Da ist der Mann wieder gegangen. Das ist unser Alltag!“ berichtet Majlinda Hoxha. 

Ihr liegt es fern, die starke Anführerin zu spielen. „Ich bin eine von euch, wir überlegen gemeinsam, was wir tun können. Ich stelle Verbindungen zu anderen Organisationen her, die uns helfen können, uns zu wehren. Aber es ist nicht meine Aufgabe, in eurem Namen zu sprechen und für eure Rechte einzustehen. Jede und jeder sollte sich beteiligen!“, betont sie immer wieder.  Die Menschen im Dibra-Tal respektieren Majlinda Hoxha – nicht nur, weil sie etwas gegen Skavica unternimmt, sondern auch, weil das Engagement für die Region in ihrer Familie bereits Tradition hat. Ihre beiden Onkel Ali und Muhamet Hoxha haben die Gesellschaft zum Schutz des Schwarzen Drin (Black Drin Association) mit aufgebaut. „Die Leute fragen sich nicht, was meine wahren Motive sind und wie viel ich damit verdiene, dass ich mich hier engagiere. Das ist nicht selbstverständlich, denn sie fühlen sich wahlweise vergessen oder ausgenutzt, vor allem von der Regierung. Dibra gehört zu den ärmsten Regionen Albaniens.  Das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, ist harte Arbeit“, sagt Majlinda Hoxha.

Es ist so gut, mit EuroNatur eine internationale Organisation an der Seite zu haben. Wir fühlen uns weniger ohnmächtig, das ist das größte Geschenk.

Majlinda Hoxha,Gründerin/Aktivistin der Organisation GARD, kämpft gegen Großstaudammprojekt Skavica am Schwarzen Drin. Majlinda Hoxha, GARD

Ohnmacht durch Hoffnung ersetzen

Inzwischen hat sie die Koalition Group of Rural Activists of Dibra (GARD) gegründet. Angesichts der scheinbar übermächtigen Gegner ist dieser Zusammenhalt besonders wichtig. Das Wasserkraftwerk Skavica soll mit Unterstützung des US-Infrastrukturgiganten Bechtel gebaut werden. Das albanische Parlament hat 2021 ein Sondergesetz verabschiedet und damit das US-Unternehmen mit der Planung und dem Bau von Skavica beauftragt. Das Projekt wurde nie öffentlich ausgeschrieben. Damit verstößt die Regierung gegen ihr eigenes nationales Recht. EuroNatur hat die albanischen NGOs Black Drin Association und Albanian Helsinki Committee deshalb dabei unterstützt, eine Verfassungsklage gegen das Wasserkraftwerk Skavica einzureichen. „Es ist schwer, den Menschen in Dibra klarzumachen, dass der Weg über das Gericht wichtig ist. Sie vertrauen dem Rechtssystem in Albanien nicht. Sie sagen, wir haben eine Diktatur, unsere Meinung wird sowieso nicht gehört. Wir versuchen, dieses Gefühl von Ohnmacht durch Hoffnung zu ersetzen“, beschreibt Majlinda Hoxha. Umso wichtiger war der erste Erfolg der Verfassungsklage. Auch wenn das Gericht bislang nur einen der drei Klagepunkte anerkannt hat, war es doch ein entscheidender: Die Öffentlichkeit hätte vor Vergabe des Projekts angehört werden müssen. Nun gibt es einen Gerichtsbeschluss, dass die öffentlichen Anhörungen nachzuholen sind. Diese Chance gilt es zu nutzen! 

Vier Frauen bei der Heuernte im Dibra Tal in Albanien.

Wie lang wird es noch eine Heuernte im Dibratal geben? Der Stausee droht alles zu verschlingen.

© Richard Burton

Lasst das doch die Frauen machen!

„Wir können darüber sprechen, was die besten Wege sind, um Energie in der Region zu erzeugen. Aber eine Regierungsentscheidung über die Köpfe der Anwohner hinweg ist nicht in Ordnung. Mir geht es um die Basis für eine respektvolle Zusammenarbeit zwischen Regierung und Bevölkerung – nicht nur im Fall Skavica, sondern generell in Albanien“, sagt auch Kimete Mazari. Wie Majlinda Hoxha stammt sie aus Dibra, ist von Haus aus Lehrerin, setzt sich aber seit mehreren Jahren fast rund um die Uhr ehrenamtlich dafür ein, die Zivilgesellschaft in ihrer Heimat zu stärken. Obwohl sie oft die Gelegenheit dazu hatte, ist sie nicht – wie so viele andere – aus Albanien abgewandert. „Eine entscheidende Rolle spielte mein Ehemann, der mich von Anfang an ermutigt hat, ich selbst zu sein und für das zu kämpfen, was mir wichtig ist. Ich wähle den schwierigen Weg, damit andere es später etwas leichter haben, aber klar frage ich mich hin und wieder, was zur Hölle machst du da eigentlich?“, berichtet sie. 

Heute wird Kimete Mazari oft angerufen und gefragt, was es im Fall Skavica Neues gibt. „Das ist ein gutes Zeichen“, meint sie, „denn es bedeutet, dass die Leute mir vertrauen. Sie teilen Informationen, Sorgen und Gedanken mit mir und wollen mit mir zusammenarbeiten.“ Doch das war nicht immer so, erinnert sie sich. „Als ich vor drei Jahren das erste Mal in den Dörfern im Dibra-Tal unterwegs war, wetterten die meisten Männer, der Kampf gegen Skavica sei nichts für eine Frau. Dann hat sich einer zu Wort gemeldet und gesagt: Ja, vielleicht ist das Männersache, aber wir können kein Englisch, wir wissen nicht, wie man einen Projektantrag schreibt oder Aktivitäten organisiert. Also lasst das doch die Frauen machen! Es war ein langer Weg, bis sie mich akzeptiert haben.“ 

Wir müssen die Erfahrung der Älteren mit der Energie der Jungen zusammenzubringen. Die Jugend ist es, die das Land verändern wird!

Kimete Mazari von der lokalen Aktionsgruppe Integrimi vor blühenden Obstbäumen. Kimete Mazari, Lokale Aktionsgruppe Integrimi

Junge Menschen sind gute Zuhörer

„Der Kampf gegen Skavica ist langwierig und ein Kampf gegen Schatten“, weiß auch Majlinda Hoxha und meint damit vor allem die Intransparenz. „Im Moment sind Fremde im Dibra-Tal unterwegs, die unbewohnte Grundstücke registrieren. Wir vermuten, dass sie Orte für die Umsiedlung der vom Staudammprojekt betroffenen Menschen suchen. Sie machen sich keine Gedanken, was diese Leute dann dort tun sollen. Wenn Skavica kommt, verlieren sie ihre Wurzeln, ihre Geschichte, einfach alles!“ Noch gibt es keinen Termin für die öffentlichen Anhörungen seitens der Regierung. Um die Lokalbevölkerung bestmöglich vorzubereiten, hat Kimete Mazari gemeinsam mit Majlinda Hoxha und der albanischen Nichtregierungsorganisation North Green Association, unterstützt von EuroNatur trotzdem schon mal einen Workshop organisiert. Ausgewählte Personen aus der Lokalbevölkerung wurden im vergangenen Dezember in Tirana geschult, argumentationsstark gegen den Skavica-Stausee, für die Natur und für die Interessen der lokalen Gemeinden aufzutreten. Sie werden ihr neu gewonnenes Wissen nun ins Dibra-Tal tragen und über weitere Workshops teilen. 

„Wir müssen dabei dringend auch die Jugend einbeziehen. Sie ist es, die das Land verändern wird“, ist sich Kimete Mazari sicher.  Mit jungen Menschen zu arbeiten, lässt sie auch in dunklen Zeiten positiv bleiben. „Ich habe das Gefühl, etwas für die Zukunft meines Landes tun zu können. Die beste Mischung, um unsere Ziele zu erreichen ist es, die Erfahrung der Älteren mit der Energie der Jungen zusammenzubringen“, sagt Kimete. Im März organisierte sie deshalb einen generationsübergreifenden Aktionstag. Großmütter erklärten die Wirkung von Heilpflanzen aus der Region, Biologen informierten über die Ökologie dieser Pflanzen, Rezepte für Gerichte aus Produkten der lokalen Landwirtschaft wurden ausgetauscht. „Wir wollten greifbar machen, welche Schätze im Skavica-Stausee verschwinden, wenn es nicht gelingt, das Projekt zu stoppen. Junge Menschen sind gute Zuhörer. Wenn wir ihnen Informationen über Skavica vermitteln, sprechen sie in ihren Familien und in ihrem Freundeskreis darüber. Das ist Gold wert“, sagt Kimete Mazari. Was ihr Sorgen bereitet ist, dass auch die Jugend Albanien zunehmend verlässt. Einen der Hauptgründe sieht sie darin, dass sie sich nicht gehört fühlen. „Die Zivilgesellschaft in Albanien schrumpft. Das ist sehr bedenklich, denn sie ist der nötige Gegenpol zur Regierung. Wir bestärken die jungen Leute, hier zu bleiben, ihre Meinung zu vertreten und sich gegen das Unrecht zu wehren.“ EuroNatur wird Kimete Mazari und Majlinda Hoxha bei dieser wichtigen Arbeit weiter unterstützen. 

Katharina Grund

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