Naturschutzverbände legen Forderungskatalog vor
Presseinformation vom 18. April 2008
Radolfzell/Berlin. Vier Wochen vor der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die biologische Vielfalt, die vom 19. bis 30. Mai 2008 in Bonn stattfindet, haben DNR, BUND, NABU und EuroNatur heute in Berlin einen zehn Punkte umfassenden Forderungskatalog zum Erhalt der biologischen Vielfalt vorgelegt. Die Verbände forderten von Bund und Ländern rasche Fortschritte vor allem beim gerechten Vorteilsausgleich für Nutzungen der biologischen Vielfalt, bei der Einrichtung eines weltweiten Systems von Schutzgebieten und bei Schutzmechanismen für den Wald. „Deutschland hat einen großen Nachholbedarf bei der Erhal-tung der biologischen Vielfalt im eigenen Lande“, sagte DNR-Präsident Hubert Weinzierl.
Deutschland und seine Bürger tragen mit ihrem Konsumverhalten und ihren Wirtschaftsverknüpfungen maßgeblich zur Gefährdung der biologischen Vielfalt in anderen Ländern und Kontinenten bei. Der ökologische Fußabdruck ist doppelt so groß wie die Bundesrepublik selbst. Um die Bedürfnisse der Deutschen zu decken, wird derzeit eine Fläche in Anspruch genommen, die mehr als doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik. Der Import von Biomasse (z.B. aus Palmöl) trägt zur Zerstörung der besonders artenreichen Regenwälder in den Tropen bei, ebenso die Nutzung bestimmter dort wachsender Holzsorten. DNR-Präsident Hubert Weinzierl forderte daher: „Solange es eine Zertifizierung nicht gibt, muss ein Moratorium beim Import von Biomasse eingeführt werden.“
Besonders gefordert sind die Bundesregierung, Länder, Wirtschaft und Gesellschaft bei der Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. So ist in Waldgebieten eine natürliche Entwicklung auf fünf Prozent der Fläche und bei Wäldern in öffentlicher Hand auf zehn Prozent der Fläche erforderlich.
Ein großes Defizit besteht bei der nationalen Umsetzung der Globalen Strategie zur Erhaltung der Pflanzen. Hier müssen die für die Sicherung der Pflanzenvielfalt wichtigsten Gebiete ermittelt und geschützt werden.
Der Vorsitzende des BUND Hubert Weiger wies darauf hin, dass Naturschutz auch Klimaschutz sei. Der Erhaltung von Biotopen mit einer hohen CO2-Speicherung wie Wäldern, Mooren und Feuchtgebieten kommt aus Sicht des Klimaschutzes eine große Bedeutung zu. Doch nach wie vor wird in Deutschland Torf abgebaut, was zum Beispiel in Niedersachsen acht Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen ausmacht.
Weiger forderte die Bundesregierung auf, umgehend entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um der weiteren Zerstörung solcher CO2-Senken und Speicher entgegen zu wirken. Sie dürfe auch keine „Klimaschutzmaßnahmen“ fördern, die die Biodiversität schädigten (z.B. Wasserkraft und Agro-Kraftstoffe).
Zur Milderung von Effekten des Klimawandels ist ferner die Renaturierung von Feuchtgebieten wie Moore, Auen und Gewässern sinnvoll.
Um den Arten ein Ausweichen vor ungünstigen Klimafolgen zu ermöglichen, ist es ferner wichtig, Schutzgebiete zu erweitern, Biotope und Arten zu vernetzen, die gesamte Landschaft durch naturverträgliche Landbewirtschaftung durchlässiger zu machen und die Belastung der Natur durch andere Faktoren wie Flächenverluste und Eutrophierung zu reduzieren. Je intakter die Natur ist, desto flexibler kann sie auf die Änderungen durch den Klimawandel reagieren. Besondere Berücksichtigung sollten dabei die am meisten gefährdeten Gebiete wie etwa die Alpen oder das Wattenmeer erfahren.
Im Bereich der Landwirtschaft forderte Weiger die Reduzierung des Stickstoffüberschusses auf maximal 20 Kilogramm pro Hektar statt der derzeit durchschnittlichen 110 Kilogramm. Dies soll durch eine Besteuerung von Kunstdünger erfolgen. Ferner muss die Dünge-Verordnung verbessert werden und die Ausnahmeerlaubnis für Grünland abgeschafft werden, nach der bis 230 Kilogramm Stickstoff pro Hektar ausgebracht werden können und Düngeüberschüsse sollten mit Bußgeldzahlungen belegt werden. Ähnliches gilt für die Nutzung von Pestiziden, Antibiotika und Hormonen.
Im Rahmen der zweiten Säule der europäischen Agrarpolitik müssen zudem wesentlich mehr Mittel für die Finanzierung des Schutzgebietsnetzes NATURA 2000 und für den Vertragsnaturschutz bereit gestellt werden. Überfällig ist auch die Streichung von Förderanreizen mit negativen Folgen für Natur und Umwelt.
Die Stärkung des Ökolandbaus fördert die Artenvielfalt durch den damit verbundenen sparsamen Einsatz von Düngemitteln und den Verzicht auf Chemie.
„Die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie sind die maßgeblichen Instrumente zur Bewahrung der biologischen Vielfalt in der EU und in Deutschland, die auch weltweit eine Vorbildfunktion haben“, betonte NABU-Präsidiumsmitglied Hans-Joachim Mader. Bestrebungen der Bundesländer, diese Richtlinien abzuschwächen, sei entschieden entgegenzutreten. „Die Energie, die die Länder derzeit hierfür aufbringen, sollte besser darauf verwendet werden, den Schutz auch endlich umzusetzen. Wenn es unter Beteiligung aller Betroffenen erstellte Bewirtschaftungspläne für die FFH- und Vogelschutzgebiete mit klaren Vorgaben für Bewirtschaftung und – wo erforderlich - Entschädigung gibt, werden sich viele der von den Ländern aufgeführten Probleme von selbst lösen und die Akzeptanz wird steigen.“ Die EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) stellt mit ihrer Verpflichtung zur Erreichung eines guten ökologischen Zustands für die Gewässer in Europa das maßgebliche Instrument für die Erhaltung der Biodiversität in und an Gewässern mit weltweiter Vorbildfunktion dar. Das bedeutet, dass alle Gewässer wieder eine naturnahe Artenvielfalt haben und für die Gewässerorganismen ökologisch durchgängig sein müssen.
Die Einbeziehung von Auen als Lebensräume mit besonders hoher Biodiversität erfordert die Wiedereinrichtung natürlicher Überschwemmungsflächen, etwa durch Deichrückverlegungen, da sie eine Schlüsselrolle für die Vielfalt an Fischen, Amphibien und Krebsen besitzen. Damit wird gleichzeitig ein langfristig vorsorgender Hochwasserschutz betrieben.
Der gute ökologische Zustand kann nur erreicht werden, wenn die Beeinträchtigung der Gewässer durch Kanalisierung, Verbauung und Stoffeintrag auch ökonomisch in Rechnung gestellt wird und so entsprechende Verbesserungsmaßnahmen finanziert werden. Für die Nutzung und Beeinträchtigung von Gewässern durch Schifffahrt, Wasserkraft, Industrie und Landwirtschaft muss eine entsprechende Gebühr durch die Nutzer gezahlt werden.
Mader wies darauf hin, dass die Zerschneidung und Isolierung von Lebensräumen eines der gravierendsten Probleme für die Biodiversität in Deutschland sei. Nur noch auf 23 Prozent der Fläche unseres Landes finden sich unzerschnittene verkehrsarme Räume in der Größe von einhundert Quadratkilometern oder mehr. Es gelte, großflächig unzerschnittene Räume zu erhalten.
„Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für den Schutz der europäischen Laubwälder und insbesondere der Buchenwälder“, sagte EuroNatur-Präsident Prof. Dr. Hartmut Vogtmann. Schließlich befindet sich ein stolzes Viertel der weltweiten Buchenwaldfläche im Bundesgebiet. „Die Maßnahmen des bestehenden Programms müssen umgesetzt werden. Zusätzlich ist ein Sofortprogramm erforderlich, das zehn Prozent der Buchenwälder unter Schutz stellt. Diese müssen komplett aus der Bewirtschaftung genommen werden“, forderte Vogtmann. Was die genutzten Waldbestände angehe, bedürften diese einer Zertifizierung nach FSC oder Naturland.
Auch was das Thema Vogeljagd angeht, gibt es nach Angaben von EuroNatur dringenden Handlungsbedarf. Es kann nicht sein, dass Länder wie Frankreich und Italien die EU-Vogelschutzrichtlinie und damit eines der wichtigsten Instrumente zum Erhalt der biologischen Vielfalt mit Füßen treten. Jedes Jahr werden in Europa weit über 100 Millionen Vögel legal geschossen oder gefangen. Der Kiebitz etwa, der in Deutschland auf der Roten Liste steht, wird in Frankreich legal bejagt. „Wir müssen alles tun, um die Zugrouten der Vögel sicherer zu machen. Nur so können wir den europaweit dramatischen Bestandsverlusten effektiv entgegenwirken“, forderte Vogtmann.
Dass die Nutzung von Biomasse nicht vorbehaltlos zu begrüßen ist, betonte der EuroNatur-Präsident ebenfalls. „Geplante Maßnahmen zum Klimaschutz werden mehr und mehr zu einer ernsthaften Bedrohung für die Artenvielfalt“, sagte Vogtmann und sprach sich in diesem Zusammenhang gegen die Beimischung von Agrokraftstoffen aus. „Anstatt mit hohem Energieaufwand Biomasse in flüssige Brennstoffe umzuwandeln, sollten wir die Biomasse lieber direkt nutzen.“ Aber auch hier ist Vielfalt gefragt: Es gilt dabei, auf verschiedene Lösungen zu setzen, die aber alle dezentrale Ansätze verfolgen und sich auf den stationären Einsatz beschränken. Der Anbau der Biomasse muss dabei immer ökologisch verträglich erfolgen.
Ansprechpartner für Rückfragen:
Gabriel Schwaderer, EuroNatur
07732-9272-0
Dr. Helmut Röscheisen, DNR-Generalsekretär
mobil: 0160-97-209-108
Friedrich Wulf, Leitung Naturschutzpolitik des BUND
mobil: 0173-923-4747
Jörg-Andreas Krüger, NABU-Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltschutz
030-28 49 84-1601