Bellende Leibwächter

Als Welpen sind sie süß und knuddelig, doch schon im Alter von wenigen Monaten können sie es mit Bären und Wölfen aufnehmen, um die ihnen anvertrauten Schafe zu beschützen. Die Rede ist von Herdenschutzhunden.

Der Umgang mit ihnen ist in Europa und Eurasien eine jahrhundertealte Tradition und ein bewährtes Mittel für Wanderhirten, ihre Herden zu schützen. Was hierzulande aktuell mitunter hitzig diskutiert wird, läuft in der Slowakei, wo der Wolf nie ausgerottet wurde, selbstverständlich. Im Interview erzählt unsere Projektpartnerin Michaela Skuban, Expertin sowohl für Bären und Wölfe, als auch für die Schäferei, von ihren Erfahrungen mit Herdenschutzhunden, den Unterschieden zu Deutschland und der Freude an erfahrenen Hunden.

Vier Ziegen mit einem Hütehund auf einer Weide.
© Miroslav Kutal/Hnuti Duha

Was sind Ihre Erfahrungen mit Herdenschutzhunden und wie gut schützen sie vor Wolfsangriffen?

Die Schäfer, mit denen ich zusammenarbeite, berichten mir viel Positives. Stolz erzählte mir kürzlich ein Hirte, dass bereits sein sechs Monate alter Hund einen Wolf durchs sogenannte Verbellen vertrieben habe und ihm sogar noch hinterhergelaufen sei. Je älter die Hunde dann werden, umso besser können sie ihre Aufgabe wahrnehmen. Aber natürlich gibt es auch einzelne Individuen, die sich nicht als Herdenschutzhund eignen. Sie sind entweder zu lieb und würden wohl eher mit einem Wolf kuscheln wollen als ihn zu vertreiben oder aber sie sind schlicht zu ängstlich, einem großen Beutegreifer gegenüber zu treten.

Welpen im Stall

Kaum zu glauben, dass es diese knuffigen Welpen in der Slowakei einmal mit Bären und Wölfen aufnehmen werden. Die Jungen werden im Stall geboren, um sich von Beginn ihres Lebens an Schafe oder Ziegen zu gewöhnen.

© Michaela Skuban

Wie läuft die Ausbildung zum Herdenschutzhund?

Eine Ausbildung zum Herdenschutzhund, ähnlich wie es sie in Deutschland gibt, ist in der Slowakei nicht vorgesehen. Die Welpen werden in der Regel im Stall geboren und sind somit von Beginn ihres Lebens an die Schafe, Ziegen oder Kühe gewöhnt. In den folgenden Wochen schauen sich die Welpen viel von ihren Eltern ab; gleichzeitig beobachtet der Schäfer sehr genau die Entwicklung des Tiers, greift aber in der Regel gar nicht so sehr ein. Vielmehr verstärkt er lediglich die guten Verhaltensweisen und versucht die schlechten zu unterbinden.

Wie geht es nach der Welpenphase weiter?

Häufig nimmt der Hirte die jungen Hunde bereits im Alter von drei bis vier Monaten zum ersten Mal mit nach draußen, um ihr Verhalten noch besser beobachten zu können. Dort kommen sie sogleich in Raubtierkontakt; nicht immer Auge in Auge, aber sie nehmen die Gerüche von Wölfen und Bären wahr, etwa über Kothaufen oder Duftmarken. Diese Erfahrung ist essentiell wichtig für die jungen Hunde. Mit einem Alter von etwa einem Jahr haben die Tiere dann genug „Praxiserfahrung“, um eine Herde vor Angriffen verteidigen zu können. Wobei manche Tiere auch schon viel früher dazu in der Lage sind, wie oben beschrieben. Mit etwa zweieinhalb Jahren sind die Hunde in ihrem Charakter dann wirklich gefestigt.

Die Schäfer müssen sich auf ihre Hunde verlassen können. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Zwei- und Vierbeiner beschreiben?

Der Herdenschutzhund ist vor allem ein Arbeitstier, ein Kollege sozusagen. Obwohl ich das Verhältnis als vertraut, manchmal gar als herzlich bezeichnen würde, wird mit dem Hund weder gekuschelt noch geschmust. Natürlich wird das Tier bei guter Arbeit gelobt und gestreichelt, etwa wenn das Herbeirufen gut funktioniert. Aber das war’s dann meist schon an Zuwendungen. Wenn der Hund mit zwei bis drei Monaten ins Flegelalter kommt, machen es sich manche Tiere zur Gewohnheit, an den Ohren der Schafe zu knabbern. Da dieses Verhalten den Schafen ernsthaft schaden kann, kommt es mitunter vor, dass der Schäfer etwas radikaler werden muss und dem Hund einen Schlag verpasst. An dieser Stelle ist es aber wichtig zu sagen, dass der Hund nicht verprügelt wird; einem prügelnden Schäfer würde ein Hund nicht mehr vertrauen. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Hund basiert auf beidseitigem Vertrauen, was vor allen Dingen draußen im Feld enorm wichtig ist.

Der Herdenschutzhund ist kein Kuscheltier. Zum Schmusen für zu Hause halten viele Schäfer und ihre Familien einen Schoßhund.

Michaela Skuban
Michaela Skuban
Wolf im Winter

Durch die Wälder und Gebirgslandschaften der Slowakei streifen Wölfe seit Jahrhunderten. Im Gegensatz zu Mitteleuropa wurden sie hier nie ausgerottet.

© Joachim Flachs

In der Slowakei ist der Wildbestand relativ hoch. Weshalb greifen Wölfe überhaupt Nutztiere an?

Wie alle großen Beutegreifer sind Wölfe darauf bedacht, möglichst energieeffizient zu jagen. Wenn sie dann ein frisch geborenes Kalb oder eine unzureichend bewachte Herde von Schafen oder Ziegen ausmachen, kann es vorkommen, dass sie zuschlagen. Vereinzelt gibt es auch Wolfsrudel, die sich auf die Jagd von Nutztieren spezialisiert haben. Das ist natürlich fatal, kommt aber extrem selten vor.

Anders als in Deutschland ist die Jagd auf eine jährlich neu festgelegte Anzahl Wölfe in der Slowakei legal. Würde eine vermehrte Jagd auf Wölfe das Problem von gerissenen Nutztieren lösen?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen, da die Anhebung der Jagdquote in der Slowakei vielfach sogar einen gegenteiligen Effekt hätte. Der wahllose Abschuss schwächt die Rudelstruktur aus Alttieren, ihren Jungen aus den Vorjahren und den Welpen. Werden etwa die Elterntiere getötet, steigt die Gefahr, dass unerfahrene Jungwölfe vermehrt leichte Beute schlagen, also auf den Geschmack von Nutztieren kommen. Ich habe einmal ein einzelnes Muttertier gesehen, das verzweifelt versucht hat, allein ihre Jungen durchzubringen. Dieses Tier hat irgendwann verstärkt Jagd auf Weidetiere gemacht. Zwar kann das Entfernen von regelrechten „Nutztierjägern“ mitunter notwendig sein, aber da muss man wirklich sehr genau vorgehen und den „Schuldigen“ gut ausmachen. Der beste Schutz draußen im Feld sind bei uns die Herdenschutzhunde in Kombination mit den Hirten vor Ort.

  • Über Michaela Skuban

    Forscherin in Höhle
    © privat

    Dr. Michaela Skuban lebt seit 2006 in der Slowakei und ist aktuell bei der staatlichen Naturschutzbehörde beschäftigt. Dort ist die Biologin, die über den menschlichen Einfluss auf das Verhalten von Bären promoviert hat, zuständig für die Bereiche Raubtierforschung und Schäfereiwesen. Zudem arbeitet Michaela Skuban für die EuroNatur-Partnerorganisation CWS (Carpathian Wildlife Society). Michaela Skuban hat eine Zeit lang selbst als Schäferin gearbeitet. Sie weiß um die harte Arbeit, die wirtschaftlichen Probleme in diesem Berufszweig sowie die Konflikte mit großen Beutegreifern – konnte aber auch die wunderbaren Erfahrungen machen, die diese Arbeit mit sich bringt.

Kommen wir einmal zum finanziellen Aspekt: Wie teuer ist die Anschaffung eines Herdenschutzhundes? Und werden die Schäfer finanziell unterstützt?

Ein Welpe kostet etwa 300 bis 400 Euro ohne Abstammungspapiere. Die meisten Viehhalter legen keinen großen Wert auf die Reinrassigkeit des Hundes. Viel wichtiger ist es ihnen, die jungen Hunde öfter zu sehen und die Elterntiere draußen auf den Weiden zu beobachten. Sollte doch jemand in die professionelle Zucht einsteigen wollen, würde ein Hund mit Papieren etwa 400 bis 600 Euro kosten. Bei einem monatlichen Durchschnittsgehalt in der Slowakei von nur etwa 800 bis 900 Euro ist die Anschaffung schon ein großer Posten, zumal es ja meist mit einem Herdenschutzhund nicht getan ist. Sind die Hirten in Gegenden mit einer hohen Wolfs- oder Bärendichte unterwegs, braucht es mindestens drei bis vier erfahrene Hunde.

Bedauerlicherweise werden Herdenschutzmaßnahmen in der Slowakei finanziell nicht unterstützt. Die Viehhalter müssen für alles selbst aufkommen

Portrait Michaela Skuban
Michaela Skuban
großer Hund bellt an der Kette

Im Winter, wenn die Nutztiere im Stall sind, bewachen die Herdenschutzhunde den Hof des Schäfers. Da sie alles andere als Schoßhunde sind, verbringen viele Hunde einen Großteil dieser Zeit an einer Kette (im Bild ein Karachatkan-Hütehund).

© Gunther Willinger

Wie Sie bereits gesagt haben, sind Herdenschutzhunde keine Kuscheltiere. Können sie gefährlich werden für Wanderer oder Radfahrer?

Das kommt auf die Situation an. Wenn ein Wanderer mitten in eine Herde gerät, kann es zu Konflikten kommen. Zwar erkennt der Herdenschutzhund schnell, dass von unachtsamen Menschen keine Lebensgefahr für die Schafherde ausgeht, der Hund beißt in der Regel also nicht zu. Allerdings baut das Tier ein aggressives Drohpotential auf. Gefährlicher wird es, wenn der Wanderer einen Hund mit sich führt, vor allem, wenn dieser nicht angeleint ist. Der Hund wird als potentielle Bedrohung betrachtet. Auch Mountainbiker können mitunter attackiert werden. Ihr plötzliches Auftreten verwirrt den Herdenschutzhund im ersten Moment. Ein recht neues Phänomen bei uns in der Slowakei sind die Quad-Fahrer. Damit haben die Hunde kaum Erfahrung. Und so ein Herdenschutzhund kann erstaunlich schnell sprinten…

Wie lassen sich solche Konflikte vermeiden?

Bei all dem muss zunächst gesagt werden, dass es trotz dieser potentiellen Konflikte kaum zu Zwischenfällen kommt. Das liegt vor allem daran, dass bei den Herden immer ein Schäfer dabei ist, der den Herdenschutzhund rasch zurückrufen kann. Und dieses Zurückrufen wird wie bereits erwähnt, häufig trainiert. Sollte die Herde jedoch einmal weit verstreut sein und der Hirte das Nahen eines Radfahrers etwa nicht mitbekommen, ist es wichtig, dass der Mensch nicht in Panik gerät und den Abstand zur Herde so weit wie möglich vergrößert. Vereinzelte Zusammenstöße wird es aber aufgrund des gestiegenen Touristenaufkommens in den ländlichen Regionen der Slowakei wohl auch zukünftig geben.

Hütehund auf Weide mit Ziegen

Alles stets stets im Blick. Mit Hütehunden zu arbeiten, hat in vielen Ländern Osteuropas eine lange Tradition.

© Miroslav Kutal/Hnuti Duha

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Was war Ihr bislang schönstes Erlebnis mit Herdenschutzhunden?

Oh, da gibt es viele! Die jungen Welpen im Stall zu sehen, ist immer wieder toll. Fast noch schöner finde ich es aber, die Entwicklung der Hunde zu erleben. Ich habe da so etwas wie eine Lieblingshündin: Bibi, eine neun Jahre alte Podhalanský Čuvač. Dieses unglaublich erfahrene und selbstbewusste Tier arbeitet nicht nur perfekt mit dem Schäfer zusammen, sondern leitet auch jüngere Hunde sehr gut an. Sie weiß genau, wann sie den Waldrand zu kontrollieren hat und wann sie sich Pausen leisten kann, sie ist ein Wunder an Sanftmut gegenüber den Schafen und tritt Beutegreifern gleichzeitig sehr robust gegenüber. Zu sehen, wie sich die Schafe um Bibi scharen, in dem Wissen, dass dieser Hund sie vor allen Gefahren beschützen wird, ist sehr berührend.

Liebe Frau Skuban, herzlichen Dank für das Gespräch!

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