Wem gehört Albaniens Küste?

Ein Kommentar von EuroNatur-Mitarbeiterin Anika Konsek

Wellen brechen am Sandstrand von Zvernec in Albanien

Naturbelassener Strandabschnitt bei Zvërnec. Hier plant Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner den Bau von Villen und Luxus-Appartements.

© Anika Konsek

„Wow, so schön ist Albanien?!“, geht es mir durch den Kopf als ich zum ersten Mal die Halbinsel Zvërnec erblicke: ein einzigartiges Naturjuwel, eingebettet zwischen Mittelmeer und Narta-Lagune, ein Hotspot für Europas Zugvögel. Schnell sind die anstrengenden Höhenmeter zum Aussichtspunkt vergessen. Ich lasse meinen Blick über die unberührte Landschaft schweifen. Und mir wird sofort klar, weshalb Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner diesen unberührten Küstenabschnitt, einen der letzten des Mittelmeeres, für den Tourismus erschließen möchte. Ginge es nach dem Willen der Investoren, soll die Natur hier bald Villen und Luxus-Appartements weichen. 

„Und worin liegt das Problem?“, würde Edi Rama, Albaniens Premierminister, vermutlich entgegnen, der die Investitionsbereitschaft Kushners sehr begrüßt. Tatsächlich stehen das albanische Küstendorf Zvërnec und die Insel Sazan unter nationalem und internationalem Naturschutz. Genauso wie die nahe gelegene Vjosa, die vergangenes Jahr zum Nationalpark erklärt wurde. Gemeinsam bilden diese naturbelassenen Lebensräume eines der wichtigsten Ökosysteme Albaniens, Heimat für unzählige seltene Tier- und Pflanzenarten. Erst kürzlich hat eine Studie gezeigt, dass das Vjosa-Delta eines der letzten intakten Deltas im Mittelmeerraum ist. Heißt es also wieder einmal Ökologie gegen Ökonomie?

Meine klare Antwort hierauf lautet: nein! Meine Teilnahme an der Vjosa-Delta-Wissenschaftswoche, an der mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus fünf Ländern teilgenommen haben, hat mir gezeigt, dass Naturschutz nur gemeinsam geht - und dass es wichtig ist, ins Gespräch miteinander zu kommen. Die Menschen vor Ort brauchen eine wirtschaftliche Perspektive, auch um der massiven Abwanderung der albanischen Bevölkerung entgegen zu wirken. Doch was bringt Albanien das schnelle Geld durch den Tourismus, wenn dadurch mittelfristig eine wichtige Einnahmequelle, nämlich die einzigartigen Naturlandschaften des Landes, zerstört wird? Was also tun? 

Die Narta Lagune in Albanien

Die Narta-Lagune mit Blick auf die Insel Sazan. Stehen hier bald Luxus-Appartements?

© Xhemal Xherri / PPNEA

Gemeinsam mit den Menschen vor Ort und unterschiedlichen Akteurinnen und Experten aus Politik und Wirtschaft müssen wir über ökologische, ökonomische und soziale Perspektiven nachdenken, die einander nicht ausschließen, sondern sich ergänzen. Dass dies nicht einfach, aber möglich ist, zeigt das Beispiel der Vjosa in Albanien. Ihre Ausrufung zum ersten Wildfluss-Nationalpark Europas vor gut einem Jahr wurde weltweit als ein Meilenstein für Mensch und Natur gefeiert. Ohne die große Ausdauer und enge Zusammenarbeit von NGOs wie EuroNatur, EcoAlbania und Riverwatch mit Patagonia, lokalen Gemeinschaften, Vertreterinnen aus der albanischen Regierung, Wissenschaftlern und zahlreichen weiteren engagierten Menschen wäre dieser Erfolg niemals zustande gekommen. 

Anika Konsek an der wilden Küste in Albanien
© Leonard Sonten

Dennoch: Der Erfolg steht auf sehr wackeligen Füßen. Erst kürzlich hat die albanische Regierung ein Gesetz erlassen, das es zukünftig erleichtern wird, für den Bau großer Infrastrukturprojekte Schutzbestimmungen außer Kraft zu setzen. Beim höchst umstrittenen Wasserentnahmeprojekt an der Shushica, einem Nebenfluss der Vjosa, findet das Gesetz bereits seine praktische Umsetzung.
War also all die Mühe umsonst? Nein, aber es ist wichtig, Nachhaltigkeit ganzheitlich umzusetzen und unterschiedliche Interessen aufeinander abzustimmen. Das sollte uns auch an Albaniens letzten unverbauten Küstenabschnitten gelingen und dafür werden wir uns mit unseren Partnern einsetzen, um ein Paradies für alle zu erhalten.

Anika Konsek

Fischforscher bei der Arbeit
© Aris Giannoukos

PS: Nur wenige Wochen nach der Science Week im Vjosa-Delta fand auch eine Wissenschaftswoche am Sarantaporos in Griechenland statt. Bei ihm handelt es sich um den größten Nebenfluss des Aoos, also des Quellflusses der Vjosa in Griechenland. Mehr als 60 Wissenschaftlerinnen und Forscher verschiedenster Disziplinen arbeiteten eine Woche lang gemeinsam am Sarantaporos. Ihre Erkenntnisse sollen helfen, den Fluss noch besser zu schützen, mit dem großen Ziel eines grenzüberschreitenden Vjosa-Aoos-Nationalparks.

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