Wir bleiben hier! Naturschutzpioniere auf dem Balkan

„Es ist für mich der Hoffnungsschimmer schlechthin, Menschen kennen zu lernen, die etwas verändern wollen, die nicht aufgeben, auch wenn das Engagement für eine lebenswerte Zukunft hart und frustrierend sein kann. Es gibt diese Verbündeten, man muss sie nur finden", sagt Sandra Wigger, Projekleiterin Kulturlandschaftsschutz bei EuroNatur. Wir stellen zwei dieser Menschen vor.

Die Bienenbotschafterin

Imkerin bei der Arbeit

Voll Bio! Shqipe Shala verwendet für ihre Bienenstöcke nur echtes Bienenwachs. Industriewachs kommt nicht in Frage.

© Liridon Shala
Karte der Projektgebiete
© Kerstin Sauer

Wenn der Wecker für Imkerin Shqipe Shala klingelt, ist es vier Uhr morgens und der Himmel über dem Shar-Gebirge noch dunkel. Shqipe muss bei ihren Bienen sein, bevor die Sonne aufgeht. Vor ihr liegt eine einstündige Autofahrt in die Berge. Zum Glück ist sie eine sichere Fahrerin, denn die Straßen sind schlecht, teilweise so gefährlich, dass die 35-Jährige nur im Schritttempo vorankommt. Doch obwohl die Arbeit hart ist, liebt Shqipe Shala, was sie tut. „Ich bin mit Hingabe Imkerin, so gibt es nichts, was nicht zu schaffen ist. Schon als Kind haben mich die Bienen fasziniert und so ist es bis heute. Mein Mann Liridon und ich haben viel investiert. Wir haben die Wege zu unseren Bienenstöcken in den Bergen selbst angelegt. Das hat viel Geld, Energie und Mut gekostet. Deshalb sind wir auch nahezu die einzigen Imker in der Region um Prizren.“

Shqipe Shalas Imkerei ist eines der Vorzeigeprojekte für einen sorgsamen Umgang mit der Natur, die EuroNatur unterstützt. Dass Shqipe Shala heute selbstbewusst über ihre Arbeit spricht, ist nicht selbstverständlich. Es hat eine Weile gedauert, bis sie sich im patriarchalisch geprägten Umfeld des ländlichen Kosovo als Geschäftsfrau durchsetzen konnte. Anfangs schlugen ihr Misstrauen und Kritik nach dem Motto entgegen: Was wir Männer nicht geschafft haben, kriegst du als Frau erst recht nicht hin. „Als wir mitten in der Wildnis den ersten Weg angelegt haben, hieß es zum Beispiel, ich könne zwar den Berg herunter gehen, aber zurück kommen werde ich wohl nicht. So skeptisch die Männer damals waren, so sehr vertrauen sie mir heute und fragen mich sogar um Rat“, erzählt Shqipe mit einem Schmunzeln. Sie hat es geschafft! Inzwischen nennt sie 200 Bienenstöcke ihr Eigen, ihre Imkerei Bletaria Etniki beliefert die Region mit Honig, der bald offiziell Bio-zertifiziert sein wird und bewirtschaftet einige Erdbeerfelder, auf denen die Bienen im Frühjahr Pollen finden. Was auch eine Pionierleistung im muslimisch geprägten Kosovo ist: Die Geschäftsführerin von Bletaria Etniki ist Shqipe Shala, ihr Mann ist bei ihr angestellt. Besonders freut sie, dass ihr Vorbild auch andere Frauen dazu ermutigt hat, ihr eigenes Geld zu verdienen.

Neue Hoffnung dank EuroNatur

Eigentlich hätte Shqipe von Seiten des Staates Anerkennung verdient. Schließlich trägt sie dazu bei, der zunehmenden Landflucht im Kosovo etwas entgegenzusetzen und die Natur zu schützen. Doch weit gefehlt. „Vor ein paar Jahren habe ich mich für eine finanzielle Förderung beworben. Daraufhin kamen Beamte zu mir nach Hause und wollten allen Ernstes dort meine Bienenstöcke begutachten. Ich habe versucht ihnen begreiflich zu machen, dass ich in meinem Garten nicht so viele Bienenstöcke aufstellen kann, sondern dass sie in der Gegend verteilt sind. Ich habe angeboten, ihnen alles zu zeigen. Aber die Beamten beharrten darauf, dass das so nicht erlaubt sei. Dann haben sie mich auf ihre schwarze Liste gesetzt. Für eine Förderung brauchte ich mich nicht mehr zu bewerben.“ Heute kann Shqipe über dieses Erlebnis lachen, doch damals fühlte sie sich von der fehlenden Wertschätzung eingeschüchtert und frustriert. Neue Hoffnung kam erst, als sie Sandra Wigger von EuroNatur begegnete. „Sandra und die EuroNatur-Partner im Kosovo haben mein Potenzial erkannt und mir geholfen, es auszubauen“, erinnert sich Shqipe. „Die Unterstützung durch EuroNatur ist – abgesehen von meiner Familie – die einzig nennenswerte, die ich bekommen habe.“

Ich erhielt von EuroNatur fachlichen und finanziellen Beistand, aber auch Stärkung auf menschlicher Ebene.

Shqipe Shala
Shqipe Shala, Imkerin im Kosovo
Imkerinnen und Bienenzüchter vor Bienenstöcken

Zusammenarbeit stärkt! Shqipe Shala tauscht ihre Erfahrungen regelmäßig mit anderen Imkern und Bienenhalterinnen aus.

© EuroNatur
Honig und andere Bienenprodukte

Die ganze Vielfalt des Honigs...

© Liridon Shala

„Ich habe das Selbstvertrauen gewonnen, dass meine Arbeit als Imkerin etwas wert ist. Außerdem konnte ich mich von nun an mit anderen Imkerinnen und Imkern vernetzen, im Kosovo, aber auch in Albanien, Nordmazedonien und bis nach Deutschland. Zusammen tauschen wir uns über Probleme aus, entwickeln Lösungsideen und ermutigen uns gegenseitig. Mein Mann und ich gestalten unser Unternehmen nun nachhaltig. Mit Hilfe von EuroNatur können wir endlich in den Naturschutz investieren.“ Unter anderem haben Shqipe und Liridon Shala über 200 Esskastaniensetzlinge gepflanzt. Deren Blüten werden bald nicht nur als Bienenweiden dienen, sondern auch eine Vielfalt aus Käfern, Schmetterlingen und Vögeln anlocken. Neue Bienenstöcke legen Shqipe und Liridon Shala aus dem Bienenwachs des vergangenen Jahres an, ohne vorgefertigtes Industriewachs zu benutzen. Das ist viel Arbeit, aber artgerecht und damit am besten für die Bienen. Mittlerweile kommen sogar kosovarische Umweltschützer zu Shqipe, um sich über ihre Art der Bienenhaltung zu informieren. Sie selbst hat viel bei einer von EuroNatur organisierten Studienreise in die Rhön gelernt und gibt dieses Wissen nun bereitwillig weiter.  

Um fünf Uhr morgens ist Shqipe Shala bereits in ihren Imkeranzug geschlüpft. Gewissenhaft überprüft sie die Bienenstöcke auf Parasiten. Dass es für die Jahreszeit schon viel zu warm ist, macht ihr Sorgen. Sie kann nicht verhindern, dass die Sonne ihre Schützlinge nach draußen lockt. Wenn es jetzt noch einmal Frost gibt, wird das sehr gefährlich. Doch Probleme wie diese schüchtern Shqipe nicht ein. Die Natur, die Blumen, die frische Luft des Shar-Gebirges, das alles vermittelt ihr immer wieder ein Gefühl der Hoffnung und spornt sie an, zum Schutz dieser Schönheit beizutragen. Am Nachmittag wird sie einen ihrer Workshops für Kinder geben. „Am Anfang haben sie noch große Angst, gestochen zu werden. Aber wenn ich ihnen erkläre, wie ein Bienenstock funktioniert und wie der Honig entsteht, dann sehen sie die Bienen mit anderen Augen. Ohne Bienen gäbe es die Hälfte unserer Früchte und Blumen nicht. Es macht mich glücklich, die Kinder zu erleben, besonders wenn ich sehe, dass ich den Bienen mit meinen Workshops zu einem guten Image verhelfen kann“, sagt Shqipe Shala. An allen Schulen im Umkreis hat sie ihre Infoflyer für die nächste Saison bereits verteilt.


Der Kräuterbändiger

Frau in Albanien erntet Kräuterpflanzen

Der Anbau und die Ernte von Heilpflanzen rund um die Dörfer am Rande des Naturparks Korab-Koritnik soll etabliert werden.

© PPNEA

Vier Autostunden südwestlich, einmal über die Landesgrenze nach Albanien, hat der junge Landwirt Daniel Bica eine ähnliche Vision: Er will erreichen, dass die Menschen in den Dörfern am Rande des Naturparks Korab-Koritnik im Einklang mit der Natur leben, anstatt sie auszubeuten. In den Bergen der Region Diber wachsen Enzian, Salbei, Schlüsselblumen und viele weitere Pflanzenarten, die für ihre Heilwirkung bekannt und auch deshalb in anderen Teilen Europas selten geworden sind. Weltweit ist die Nachfrage nach Heilkräutern groß. Sie wurde durch die Corona-Pandemie weiter angekurbelt, da Menschen verstärkt nach alternativen Therapien suchen und auch Naturkosmetik boomt. Eine gefährliche Entwicklung, wenn niemand darauf achtet, wo und wie die Pflanzen gesammelt werden. Gerade in den ländlichen Gebieten Albaniens sind der Anbau und Verkauf von Heilkräutern für viele Familien eine wichtige Einnahmequelle. Schon zu kommunistischen Zeiten versorgte Albanien die Welt mit Kräutern. Etwa 100.000 Menschen erwirtschafteten damals jährlich 50 Millionen Dollar Devisen für das Regime Enver Hoxhas. Heute sind es, laut einer Studie des Zentrums für Internationale Entwicklung der Universität Harvard, immerhin noch 17 Millionen Dollar. Vor der politischen Wende in den 1990er Jahren erfolgte das Sammeln von Arzneipflanzen unter der Aufsicht des Staates. Die Regierung bestimmte, welche Pflanzen und wie viel davon gesammelt werden durften.

Heute ist das anders, das weiß auch Danjel Bica zu berichten, der nicht nur selbst Landwirt ist, sondern auch den Verein junger Umweltexperten, kurz SHERM, gegründet hat. „Die Menschen sammeln mehr als die Natur liefern kann und mehr als sie verkaufen können. Sie ernten bevor die Pflanzen aufgeblüht oder bevor die Früchte reif sind. Diese Ausbeutung wollen wir stoppen. Wir bilden Landwirte darin aus, Heilkräuter auf ihren eigenen Feldern anzubauen, anstatt sie wild im Naturpark Korab-Koritnik zu sammeln. Wir bringen ihnen bei, wie sie die Pflanzen kultivieren können und unterstützen sie mit der nötigen Technik. Bevor die Landwirte die Arzneipflanzen anbauen, stellen wir sicher, dass es Abnehmer dafür gibt.“ Wie Shqipe Shala erhielt auch Danjel Bica für sein Modellprojekt Unterstützung von EuroNatur und freut sich über den Erfolg. Bei den Landwirten rannte er mit seiner Idee offene Türen ein.

Wir haben mittlerweile drei Farmen etabliert, die Heilpflanzen anbauen und erfolgreich verkaufen.

Danjel Bica
Danjel Bica, Landwirt und Geschäftsführer der NGO SHERM in Albanien
Riechprobe von Tee

Gute Qualität! Die Geruchsprobe gehört zu Danjel Bicas täglicher Routine.

© PPNEA
im Wohnzimmer von Kräuterbauern

Viele Landwirte konnte Danjel Bica bereits überzeugen. So auch Ramadan Mehmeti und seine Frau. Das Paar hat gleich fünf Töchter in den neu erworbenen Anbautechniken für Heilpflanzen geschult.

© PPNEA

Wertvolle Inspiration brachte eine Studienreise zum Unternehmen Agroprodukt im benachbarten Kosovo, das dort führend ist im Anbau, der Sammlung und Verarbeitung von Heilpflanzen. Das Unternehmen hat landesweit rund 40 Sammelstellen eingerichtet und rund 370 Sammler unter Vertrag genommen. Die Männer und Frauen lernen unter anderem wann, wo, wie und in welchen Mengen sie Salbei, Schlüsselblumen und andere Heilpflanzen ernten dürfen, um keinen Schaden anzurichten. Die gesamte Produktpalette ist nach EU-Standards Bio-zertifiziert. „Nach dem Kosovo-Krieg entschloss ich mich, eine Firma zu gründen, um Menschen mit dem zu helfen, was die Natur ihnen schenkt“, erklärt Halit Avdijaj, Direktor von Agroprodukt. Die Landwirte aus Diber haben sich auf dieser Studienreise viel abgeschaut und das neu gewonnene Wissen bereits umgesetzt. „Durch die Förderung von EuroNatur haben wir wertvolle Erfahrungen gesammelt. Dieses Wissen nutzen wir nun in einem Folgeprojekt, das die EU finanziert und in dem wir junge Leute im Alter von 18 bis 35 Jahren unterstützen. Unser Ziel ist es, sechs weitere Farmen für den Anbau von Arzneipflanzen in der Region Diber zu etablieren“, sagt Danjel Bica und nimmt einen Schluck von seinem Lieblingstee aus Bergkräutern – mit gutem Gewissen, denn gepflückt wurden sie nicht im Naturpark Korab-Koritnik, sondern auf einem Feld gleich nebenan.    

Die Autorin dieses Beitrags, Katharina Grund, ist begeistert von der vielseitigen Heilwirkung von Tee. Den Bergtee (albanisch: Çaj Mali) aus der Gattung Sideritis - bereits seit der Antike als Heilmittel gegen Erkältungen, Atemwegsbeschwerden und andere Gebrechen bekannt - hat sie auch schon probiert, findet den Geschmack aber doch recht speziell.

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