Und unsere EuroNatur-Mitarbeiterin Anika Konsek ist mittendrin
„Ich muss fliegen“ – zähneknirschend stelle ich fest, dass eine Zugreise von Süddeutschland nach Albanien doch eher Tage als Stunden dauert, und steige daher ins unliebsame Flugzeug: Der Startschuss zu meiner ersten Dienstreise auf den Balkan, seit ich bei EuroNatur beschäftigt bin! Nachdem sich mein ökologisches Gewissen etwas beruhigt hat, spüre ich langsam eine Aufregung in mir aufkommen: Nach über zehn Jahren des unermüdlichen Einsatzes von EuroNatur und zahlreichen weiteren lokalen und internationalen Naturschutzorganisationen im Rahmen der Kampagne Rettet das Blaue Herz Europas sowie diversen weiteren Akteuren und Aktivistinnen, ist es nun endlich soweit: Die Vjosa wird Europas erster Wildfluss-Nationalpark – und ich bin mittendrin!
Die Fahrt zum Hotel gibt mir einen ersten Vorgeschmack darauf, was mich am nächsten Tag erwartet. Die rot-gelbe Abendsonne leuchtet. Und dann sehe ich sie zum ersten Mal: die Vjosa, Europas letzten großen Wildfluss. Ich bin überwältigt von ihrer Schönheit, ihrer Größe, und wie sie scheinbar mühelos ihren Weg durch das albanische Gebirge zieht. Überwältigend groß ist auch die Freude der Beteiligten beim gemeinsamen Abendessen. Es wird geredet, gelacht, sogar gemeinsam gesungen. Noch bevor ich alle Eindrücke verarbeiten kann, heißt es für mich: letzter Kamera-Check für den morgigen Tag und ab in die Federn.
15. März 2023: Dass es sich heute um einen ganz besonderen Tag handelt, ist überall zu spüren, ganz besonders im Städtchen Tepelena, wo die feierliche Zeremonie mit geladenen Gästen stattfindet. Zahlreiche Journalistinnen und Reporter aus aller Welt sind vertreten und mir wird nochmal so richtig bewusst, wie dankbar ich dafür bin, Teil dieses historischen Moments zu sein. Die Stimmung ist ausgelassen, fast schon familiär. Und dann wird es still. Der albanische Premierminister Edi Rama und die Ministerin für Tourismus und Umwelt, Mirela Kumbaro, nähern sich dem Geschehen. Anspannung liegt in der Luft. Unbeeindruckt davon zeigt sich die Vjosa im Hintergrund von ihrer schönsten Seite, ihr kristall-blaugrünes Wasser schimmert im Sonnenlicht – und das, obwohl für diesen Tag ausschließlich Regen vorhergesagt war. Dann ist es endlich soweit; nach langen Reden folgen Taten: Ministerin Kumbaro setzt ihre Unterschrift unter die Nationalpark-Deklaration, gefolgt von Premier Rama; er nimmt überraschend Ryan Gellerts Hand, lässt den CEO von Patagonia geradezu demonstrativ die Unterschrift führen. Beinahe scheint es, als wolle Rama sagen: „Hier hast du deinen Nationalpark!“
Tatsächlich gibt es noch einiges zu tun: Der Aoos, wie die Vjosa auf der griechischen Seite der Grenze heißt, ist teilweise noch ungeschützt und daher der Bedrohung durch Wasserkraftwerke ausgesetzt. Und der illegale Bau eines Flughafens inmitten des Schutzgebietes in der Narta-Lagune nahe der Vjosa-Mündung bedroht unzählige, zum Teil stark gefährdete Vogelarten sowie die Lokalbevölkerung. Für den Bau mussten große Flächen trockengelegt werden, die andernfalls das Wasser wie einen Schwamm aufsaugen würden. Überschwemmungen werden so wahrscheinlicher, auch wegen des voranschreitenden Klimawandels.
Aber jetzt wird erst einmal angestoßen auf den Vjosa-Nationalpark – und darauf, dass es sich lohnt, für die Natur einzustehen, unser aller Lebensgrundlage.