Wissenschaftler kritisieren Umweltprüfung für Vjosa-Kraftwerksprojekt

Die Vjosa

Die Vjosa – der letzte große Wildfluss Europas – bekommt Unterstützung von internationalen Wissenschaftlern.

© Gregor Subic
Die Wissenschaftler am Ufer der Vjosa

Wissenschaftler aus Albanien, Österreich und Deutschland an der Vjosa. V.l.n.r.: Prof. Sajmir Beqiraj, Prof. Friedrich Schiemer, Dr. Martin Pusch, Prof. Aleko Miho, Dr. Robert Konecny, Prof. Lefter Kashta.

© EuroNatur / Theresa Schiller

++ Analyse der Wissenschaftler an Premierminister Edi Rama verschickt ++

 

Gemeinsame Pressemitteilung von EuroNatur, Riverwatch und EcoAlbania

 

Radolfzell, Tirana, 21.12.2016. Kurz vor Weihnachten bekam der albanische Premierminister Edi Rama sowie weitere Regierungsvertreter Post von renommierten Wissenschaftlern aus Österreich und Deutschland. Die Experten hatten die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Wasserkraftprojekt Poçem an der Vjosa in Albanien analysiert. Diese bescheinigt dem Kraftwerksprojekt umweltverträglich zu sein. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist die UVP dagegen eine Farce. Sie erfülle selbst Mindestanforderungen nicht und sei deshalb nicht geeignet, die Umweltfolgen des geplanten Kraftwerks vorherzusagen.

Damit schlossen sich die Wissenschaftler dem Urteil albanischer Kollegen der Universität Tirana an. Auch die in Radolfzell ansässige Naturschutzstiftung EuroNatur und die österreichische Naturschutzorganisation Riverwatch kritisieren die Qualität der UVP. Sie sehen sich durch die aktuelle Analyse der Wissenschaftler bestätigt.

Die Wissenschaftler kritisierten besonders:

  • dass keinerlei Erhebungen zur Flora und Fauna durchgeführt und Bestände von seltenen Arten nicht untersucht wurden.
  • 60 Prozent des Textes aus anderen Dokumenten kopiert wurde und sich teilweise auf völlig andere Gebiete bezieht.
  • hydrologische, morphologische und ökologische Prozesse nicht untersucht wurden und
  • mögliche Langzeitfolgen des Projekts nicht beschrieben wurden.


In dem Brief an den albanischen Premierminister Edi Rama, Energieminister Damian Gjiknuri sowie Umweltminister Lefter Koka forderten die internationalen Experten die Regierungsvertreter auf, die UVP abzulehnen und stattdessen für eine seriöse Untersuchung zu sorgen, die an EU-Standards angepasst ist.

„Eine Vorhersage der Folgen eines Staudamms an der Vjosa für die Artenvielfalt und die Grundwasserverhältnisse, mit konkreten Auswirkungen auch für die Anrainer, ist mit dieser Umweltverträglichkeitsprüfung in keiner Weise möglich. Die biologischen Auswirkungen eines Staudamms werden darin in nur 10 Zeilen abgehandelt, ohne auch nur eine Fischart zu erwähnen. Dieser zusammengestückelte Text verdient den Namen Umweltverträglichkeitsprüfung nicht“, so Dr. Martin Pusch vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerkunde und Binnenfischerei (IGB).   

Nach Ansicht der Autoren der UVP steht das Kraftwerksprojekt in Poçem im Einklang mit höchsten internationalen Standards. “The positive and negative impacts of the proposed project are identified and calculated. (…) The whole project is in full compliance with the best international standards, and this increases the safety work level during the operation process reasonable scale as possible”, heißt es in dem Papier vollmundig.

Dieser Einschätzung widersprechen die Wissenschaftler vehement: „Diese Schlussfolgerung ist völlig aus der Luft gegriffen und basiert nicht auf nachvollziehbaren Daten. Leider erfüllt die vorgelegte UVP nicht die internationalen Standards, sondern ist in dieser Form eher eine Karikatur einer UVP, als eine seriöse Entscheidungsgrundlage“, bemängeln die Experten in ihrer Analyse an die albanische Regierung.

„Es geht hier nicht darum, für oder gegen das Projekt zu sein, sondern darum, dass eine seriöse und nachvollziehbare Planung als Entscheidungsgrundlage für die Politik gemacht wird. Bei einem Fluss von internationaler Bedeutung muss man die höchsten gesetzlich vorgegebenen Standards anwenden. Wir sind jederzeit bereit, die albanischen Ministerien in der Umsetzung einer seriösen UVP zu unterstützen“, so Prof. Friedrich Schiemer von der Universität Wien.

 

Hintergrundinformationen:

  • Umweltverträglichkeitsprüfung: Eine UVP hat grundsätzlich die Aufgabe kurz-, mittel- und langfristigen Folgen eines Projektes auf Natur und betroffenen Menschen abzuschätzen. Dazu sind genaue Erhebungen vor Ort notwendig. So müssen etwa die Tier- und Pflanzenbestände untersucht werden, ebenso wie die Grundwasserverhältnisse und die hydromorphologischen Prozesse - also die Frage, wieviel Schotter und Sande die Vjosa in dem Bereich transportiert. Auf Basis dieser Erhebung sind Vorhersagen über die Folgen des geplanten Wasserkraftwerks und letztlich eine Einschätzung über die Umweltverträglichkeit des Projektes vorzunehmen. Zur Durchführung einer UVP hat die EU Kriterien ausgearbeitet. Auch in den albanischen Gesetzen sind diese Standards vorgegeben.
  • Die Vjosa gilt als der letzte große Wildfluss Europas außerhalb Russlands. Ungestört und völlig unverbaut durchfließt sie unzugängliche Schluchten und Abschnitte mit riesigen Schotterbänken und Inseln ­ über fast 270 Kilometer ohne Staudämme von den Pindusbergen in Griechenland bis in die albanische Adria. Die albanische Regierung unter Premier Edi Rama will nun im ökologisch wertvollsten Teil der Vjosa von einem türkischen Unternehmen ein Wasserkraftwerk bauen lassen.
  • Die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ hat den Schutz der wertvollsten Flüsse am Balkan zum Ziel. Sie wird von den NGOs Riverwatch und EuroNatur koordiniert und gemeinsam mit Partnerorganisationen aus den Balkanländern durchgeführt.



Rückfragen:
Ulrich Eichelmann – Riverwatch: ulrich.eichelmann@riverwatch.eu  +43 676 6621512
Angie Rother – EuroNatur: angie.rother@euronatur.org   + 49 7732 92 72-15
Besjana Guri – EcoAlbania:  b.guri@ecoalbania.org  + 355 692954214


 

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