"Destruktiv, undemokratisch und wahrscheinlich illegal"

Kritik an durchgesickerten EU-Maßnahmen für erneuerbare Energien: Die EU-Pläne für eine Dringlichkeitsmaßnahme, um die Entwicklung erneuerbarer Energien zu beschleunigen, sind in hohem Maße zerstörerisch für die Artenvielfalt, undemokratisch und möglicherweise illegal, warnten heute das CEE Bankwatch Network und EuroNatur, nachdem ein durchgesickerter Text des Vorschlags von Context Energie veröffentlicht wurde. [1]

Baustelle Wasserkraftwerk

Umwelthürden für oftmals zerstörerische Wasserkraftwerke könnten wegfallen - dies stünde in direktem Gegensatz zur EU-Wasserrahmenrichtlinie.

© Robert Oroz

Der Vorschlag, der diese Woche von der Kommission offiziell veröffentlicht werden soll, stützt sich auf Artikel 122 des EU-Vertrags, der es der EU ermöglicht, Notfallmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere zur Überwindung von Schwierigkeiten bei der Energieversorgung [2]. Der Entwurf beinhaltet jedoch keine schnellen Lösungen für die Energiekrise  - das Festlegen von Fristen für Genehmigungen allein ändert nichts an den grundlegenden Problemen. Darüber hinaus geht der Text weit über wirtschaftliche Maßnahmen hinaus mit schwerwiegenden und unverhältnismäßigen Auswirkungen auf essentielle Umweltvorschriften. Zudem steht er konträr zu Änderungen an der Erneuerbare-Energie-Richtlinie, die derzeit im Europäischen Parlament diskutiert wird [3].

Der Vorschlag beinhaltet einen überaus umstrittenen Artikel, der vorsieht, dass alle Projekte für erneuerbare Energien in einem ‚übergeordneten öffentlichen Interesse sind und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen‘. Wenn beispielsweise befunden wird, dass es keine geeigneten Alternativlösungen gibt, könnte ein Wasserkraftwerkprojekt umgesetzt werden, ganz gleich in welchem Ausmaß es Natura-2000 Gebiete schädigt oder es die Wasserqualität der Flüsse verschlechtert. Dies untergräbt die bestehenden EU-Umweltvorschriften, die solche schädlichen Entwicklungen nur in Einzelfallprüfungen zulassen [4]. 

Im Widerspruch zu den geltenden Rechtsvorschriften würde der Vorschlag auch die Kriterien lockern, gemäß derer die Tötung und erhebliche Störung von Vögeln als vorsätzliche Handlung gilt.

Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer bei EuroNatur sagt: "Am frustrierendsten ist, dass dieser Angriff auf die Natur nicht einmal einen nennenswerten Einfluss auf die Schaffung von erneuerbaren Energien hat. Die Umweltgesetzgebung ist nicht das Problem, sondern grundsätzliche Schutzmaßnahmen sind notwendig – die Abschaffung des Schutzes löst deshalb nicht die Probleme, sondern schafft einfach andere, oder sogar noch mehr Probleme. Insbesondere dieser Vorschlag wird zusätzlich zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen."

Er fügt hinzu: "Die rasche Entwicklung nachhaltiger erneuerbarer Energien ist von entscheidender Bedeutung, aber die unbedachte Demontage der EU-Umweltgesetzgebung durch die Kommission öffnet die Büchse der Pandora und führt uns in eine Katastrophe für die biologische Vielfalt. Heute erhält die Industrie der erneuerbaren Energien eine Sonderbehandlung, aber welche Branchen werden morgen ihre Ansprüche geltend machen?"

Pippa Gallop, Southeast Europe Energy Advisor bei CEE Bankwatch, sagt: "Dass der Ausschuss und die Kommission Artikel 122 des EU-Vertrags missbrauchen, um bestehende Umweltvorschriften - den Habitat- und Vogelschutz sowie die Wasserrahmenrichtlinie – zu untergraben, ohne die Öffentlichkeit oder das EU-Parlament zu konsultieren, wird höchstwahrscheinlich langwierige rechtliche Anfechtungen verursachen und eine öffentliche Gegenreaktion hervorrufen, statt die Einführung erneuerbarer Energien beschleunigen.

Die Kommission muss diesen Plan verwerfen und sich darauf konzentrieren, die wirklichen Hindernisse zum Ausbau erneuerbarer Energien anzugehen, wie etwa unnötige Einschränkungen bei der Flächenplanung, die geringe Digitalisierung der Genehmigungsverfahren und die mangelnde Verwaltungskapazität in den Genehmigungsbehörden", schließt sie.

Update, 9.11.
Die Europäische Kommission hat ihren Entwurf vorgelegt, er ist hier (engl.) abrufbar. Abgesehen von kosmetischen Änderungen geht der Entwurf in keiner Weise auf unsere Bedenekn ein.


Hinweise:

[1] Am 20. Oktober forderte der EU-Rat die Europäische Kommission und den Rat auf, dringende Vorschläge zur Bewältigung der Energiekrise zu unterbreiten, einschließlich einer "beschleunigten Vereinfachung der Genehmigungsverfahren, um den Ausbau erneuerbarer Energien und Netze zu beschleunigen, inklusive Sofortmaßnahmen auf der Grundlage von Artikel 122 AEUV".

[2] Am 25. Oktober stimmte der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über eine Reihe von Änderungen an der Richtlinie über erneuerbare Energien ab. Die Reaktionen der Organisationen der Zivilgesellschaft auf diese Abstimmung finden Sie bei Bankwatch, hier und hier. Das ITRE-Gremium (Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie) wird voraussichtlich am 14. November über eine weitere Reihe von Änderungen abstimmen, die in seine Zuständigkeit fallen.

[3] Die vorgeschlagene Änderung in Bezug auf das ‚überwiegend öffentliche Interesse und den Schutz der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit‘ wird den Schutz der Natura-2000 Gebiete in der Habitat-Richtlinie (Artikel 6 (4) und 16 (1) (c)), den Schutz der Vögel in der Vogelschutz-Richtlinie (Artikel 4 (7)) und das Erreichen eines guten Wasserzustands der Flüsse in der Wasserrahmen-Richtlinie (Artikel 9 (1) (a)) untergraben. 

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