Die Komarnica im Norden Montenegros gehört zum Blauen Herz Europas. Eine Talsperre droht, dieses Stück Wildnis zu zerstören. Zwei junge Frauen, die mittlerweile ein größeres Netzwerk mobilisiert haben, stellen sich gegen die Wasserkraftlobby und kämpfen für ihren Fluss.
„Um die Komarnica-Schlucht herum ist das Land flach und es gibt wunderschöne Dörfer. Mittendrin öffnet sich unvermittelt dieser Canyon und du tauchst in eine absolute Wildnis ein. Es gibt nur wenige, sehr steile Pfade. Sie führen durch Buchenurwälder bergab in eine andere Welt, wo dich eine überwältigende Vielfalt aus Tier- und Pflanzenarten erwartet. Einige davon gibt es nirgendwo sonst.“ Wenn die montenegrinischen Aktivistinnen Jelena Popović und Andrijana Mikanović von der Komarnica sprechen, wird klar, woher sie die Energie nehmen, um für diesen Fluss zu kämpfen. Sie lieben die Wildnis, sie lieben die Natur. Bereits kurz nach ihrem Studienabschluss haben die beiden Biologinnen eine Naturschutzinitiative ins Leben gerufen. Derzeit erleben sie wie „Save Komarnica“ („Rettet die Komarnica“) immer mehr an Schwung gewinnt.
„Die Komarnica ist ein fantastischer Ort“
Vielleicht ist es die Liebe zu ihrer Großmutter, die Jelena Popović zur Flussschützerin werden ließ. Auf jeden Fall ist Jela Tadić stolz auf ihre Enkelin. Zusammen mit Andrijana Micanović hat sie eine Initiative ins Leben gerufen, die in Montenegro längst zu einer Marke geworden ist. Immer mehr Menschen wollen Teil der Bewegung „Rettet die Komarnica“ sein. Wäre die Großmutter noch ein paar Jahre jünger, würde sie sicherlich auch mitmachen. Jela Tadić hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, durch ein Wasserkraftprojekt die Heimat zu verlieren. Sie lebte im alten Dorf Plužine an den Ufern der Piva, als die montenegrinische Regierung in den 1970er Jahren eine Talsperre errichten ließ. Jelas Welt ertrank damals in einem Stausee, ihr gesamtes Dorf wurde umgesiedelt. Durch den Bau des Wasserkraftwerks wurde der Fluss zur Ursache eines Schmerzes, den die 88-Jährige bis heute nicht verwunden hat. „Wir lebten im Paradies“, erzählt sie Jelena oft. „In der Piva haben wir Fische gefangen, mit ihrem Wasser löschten wir unseren Durst und bewässerten unsere Felder.“ Deshalb fragt die Großmutter auch bei jedem Besuch: „Jelena, hast du die Komarnica schon gerettet?“. Auch dieser Fluss soll nun aufgestaut werden, keine 50 Kilometer stromaufwärts, wo sich damals das Drama an der Piva ereignete.
Am Anfang waren wir ganz allein
Wenn Jelena Popović und Andrjana Micanović von ihrer Initiative erzählen, wird schnell klar, dass es ihnen um mehr geht als um einen einzigen Fluss. Es geht ihnen um den Stellenwert der Natur in Montenegro an sich. Jelenas Stimme ist zart, doch die junge Frau geht den steinigen Weg einer Umweltaktivistin in Montenegro mit Entschlossenheit. „Andrijana und mich berührt die Geschichte um die Komarnica sehr, weil wir Biologinnen sind und dieser Fluss aus ökologischer Sicht ein fantastischer Ort ist. Schon in der Zeit kurz nach unserem Schulabschluss begann ein regelrechter Boom in Sachen Naturzerstörung, der bis heute anhält. Als wir von dem geplanten Staudamm an der Komarnica erfahren haben gab es niemanden, der für diesen Fluss gekämpft hätte. Da haben wir ,Save Komarnica‘ gestartet. Am Anfang waren wir allein – wir beide und noch eine weitere Biologin. Mittlerweile ist das zum Glück anders“, sagt die heute 30-Jährige.
Die Staudammpläne waren nichts Neues, sondern stammten bereits aus den 1970er Jahren. Jahrzehnte später zog die montenegrinische Regierung diese Pläne wieder aus der Schublade. Andrijana und Jelena mobilisierten im Jahr 2019 die Montenegrinische Gesellschaft für Ökologie - bei der sie beide heute angestellt sind - und zwei weitere nationale Nichtregierungsorganisationen (KOD und die Gesellschaft junger Ökologen aus Nikšić). Gemeinsam reichten sie beim Sekretariat der Berner Konvention eine Beschwerde gegen das Wasserkraftprojekt an der Komarnica ein.
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Komarnica – ein schützenswerter Fluss
Niemand wusste von dem Projekt
Montenegro hat in seiner Verfassung festgeschrieben, „ein ökologischer Staat“ zu sein. Wie passt es zu diesem Motto, dass die letzten wilden Flüsse des Landes für die Energieerzeugung geopfert werden? Gar nicht! Sagen Jelena Popović und Andrijana Mikanovic. Deshalb sorgen sie dafür, dass so viele Menschen wie möglich von dem fragwürdigen Wasserkraftprojekt Komarnica erfahren. Schließlich sei der Fluss kein Eigentum der Bürger von Šavnik und Plužine, sondern ein Naturschatz, dessen Schicksal alle angehe. Ende März 2022 organisierten sie eine Informationsveranstaltung mitten in der Hauptstadt Podgorica und gewannen so Unterstützer für ihre Bewegung. „Das Interesse der Leute war groß, alle Plätze waren besetzt“, berichtet Andrijana.
Protestcamp sorgt für positive Energie
Dass es bei der Initiative „Save Komarnica“ um eine Entwicklung der Region in Harmonie mit der Natur geht, machten Jelena, Andrijana und ihre Mitstreitenden Anfang Mai klar. Bereits zum zweiten Mal fand ein Protestcamp an der Komarnica statt. Anders als im Vorjahr kamen die Teilnehmenden nicht nur aus Montenegro, sondern aus insgesamt 17 Ländern, darunter aus Deutschland, Polen, den Niederlanden, aus vielen Balkanstaaten, und sogar aus den USA. Insgesamt versammelten sich über 400 Flussliebhaber, Naturschützerinnen, Künstler, Wissenschaftlerinnen, Kayaker, Kletterer und andere Interessierte an der Komarnica. Sie erforschten und erkundeten die reiche Artenvielfalt des Komarnica-Canyons, erlebten die Flusslandschaft vom Boot aus oder nahmen an Fototouren und Workshops zu nachhaltiger Landwirtschaft in der Region teil. „Es kamen eine Menge Aktivisten anderer Initiativen zu unserem Protestcamp, um uns zu unterstützen. Umgekehrt haben wir ihnen die Gelegenheit gegeben, ihre Themen zu präsentieren. Wir haben unsere Erfahrungen ausgetauscht, uns Mut zugesprochen und uns gegenseitig bestärkt“, beschreibt Andrijana. „Es tut gut zu spüren, dass wir nicht mehr allein sind“, sagt sie.
Und wie haben die lokalen Anwohner auf das Protestcamp reagiert? „Unglückerweise sind viele Anwohner für den Staudamm. Sie glauben den Vertretern staatlicher Unternehmen, die ihnen Jobs versprechen und neue Straßen. Mit dem Protestcamp wollten wir ihnen zeigen, wie wertvoll der Fluss für sie ist, solange er frei fließen darf, und wie viel sie durch den Staudamm verlieren würden. Von überall auf der Welt kamen Menschen, um die Komarnica zu erleben. Wir haben der Lokalbevölkerung gezeigt, wie sich damit Einkommen erzielen lässt. Die Teilnehmenden des Camps waren bei lokalen Gastgebern untergebracht und wurden mit Lebensmitteln aus regionaler Produktion versorgt“, sagt Jelena.
Applaus für die Komarnica
Das Protestcamp endete mit einem Paukenschlag. „Ich war anfangs skeptisch, ob wir Geld investieren sollen, um ein Konzert zu organisieren. Aber als es so weit war, wusste ich sofort, dass diese Entscheidung richtig war“, erinnert sich Andrijana. Der in Montenegro und in anderen Balkanstaaten beliebte und bekannte Musiker Darko Rundek trat mit seiner Band in Šavnik auf, einem der Orte, die von der Komarnica-Talsperre massiv betroffen wären. Seit Jahren unterstützt er die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ und macht mit seinen Konzerten auf die Schönheit und die Bedrohung der frei fließenden Flüsse auf dem Balkan aufmerksam. „Darko Rundek spielte auf dem zentralen Platz von Šavnik, eingerahmt von der Komarnica und der Bukovica. Die Atmosphäre war fabelhaft und die positive Energie förmlich greifbar“, berichtet Jelena. „Die Einheimischen waren ebenso überrascht wie begeistert. Sie haben das erste Mal erlebt, wie ihre Stadt Scharen von Besuchern anlockte. Als wir davon sprachen, dass wir die Komarnica retten wollen, hat das Publikum applaudiert. Es gab noch Tage nach dem Camp viel mediale Aufmerksamkeit.“
Naturschützerinnen und Naturschützer aus ganz Montenegro kamen zusammen. Wir tanzten und sangen für all die Naturgebiete, denen wir unsere Stimme geben.
Wende im Fall Komarnica?
Kurz nach dem Konzert kam dann die Überraschung: Die Ministerin für Ökologie, Raumplanung und Städtebau, Ana Novaković Đurović, verkündete, dass der Staudamm NICHT gebaut werden soll. Allerdings trauen die beiden Flussschützerinnen den Aussagen montenegrinischer Politikerinnen und Politiker nicht mehr über den Weg. „Bevor wir nichts Schriftliches haben, werden wir weiter für die Komarnica kämpfen. Das Gleiche hat diese Ministerin vor einem Jahr schon einmal behauptet. Ein paar Tage später wurde die Konzession für den Komarnica-Staudamm erteilt. Aber was nicht zu unterschätzen ist: Der Staudamm und seine Bedrohung für Menschen und Natur sind zum Thema öffentlicher Diskussionen geworden.“ Wenn die Großmutter heute fragt „Jelena, hast du die Komarnica schon gerettet?“, bekommt sie deshalb zur Antwort: „Noch nicht, Großmutter, aber wir sind nicht mehr allein! Die Geschichte der Komarnica ist eine gute Geschichte.“
Die Autorin dieses Beitrags, Katharina Grund, war nach dem Interview mit Jelena Popović und Andrijana Mikanović begeistert von der Tatkraft der beiden jungen Biologinnen. Sie kann sich gut vorstellen, wie die Aktivistinnen aus Montenegro die Menschen um sich herum für den Schutz der Komarnica inspirieren können.
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