Das Livanjsko Polje in Bosnien-Herzegowina ist eine Kulturlandschaft voller Artenvielfalt. Wir unterstützen Landwirtinnen und Landwirte dabei, Ansätze für eine nachhaltige Lebensweise zu finden. So tragen wir dazu bei, dass auch junge Menschen nicht abwandern. Ein paar von ihnen hat unsere Autorin Katharina Grund besucht.
Ich zerreibe die Blätter einer Pflanze zwischen meinen Fingern. Unweigerlich drehe ich mich nach der Dame um, die den Duft ihres Parfums in der Luft hängen ließ. Doch da ist niemand. Nur Teppiche aus Bergbohnenkraut. Bald wird es die Landschaft in Violett und Weiß tauchen und es werden Imker aus Kroatien über die Grenze kommen, um ihre Bienen hier ausschwärmen zu lassen. Wer im Sommer durch das Livanjsko Polje streift, hat vom Blütenstaub gelbe Hosen. Der Gesang der Lerchen ist ohrenbetäubend. Mit allen Sinnen trinke ich Vielfalt: Farben, Muster, Strukturen, Bilder bunter Schmetterlinge und - Vogelstimmen. Schmerzlich wird mir klar, wie still und leer es in Mitteleuropa dagegen geworden ist. Es könnte beruhigend sein zu sehen, wie die umliegenden Berge das Livanjsko Polje beschützen. Doch leider weiß ich, wie wenig es nützt.
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Karstpoljen – Oasen der biologischen Vielfalt
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Gemeinsam gegen die Hoffnungslosigkeit
„Wir bleiben hier!“
„Die Regierung in Bosnien-Herzegowina würde die Region am liebsten entvölkert sehen, um ungehindert alle Ressourcen ausbeuten zu können. Fehlen Menschen, die sich wehren, werden sie das Wasser, die Wälder, den Torf, die Kohle und alles andere verkaufen“, ist sich EuroNatur-Projektleiterin Sandra Wigger sicher. „Wir wollen diese Entwicklung abwenden, indem wir gemeinsam mit Landwirtinnen und Landwirten im Livanjsko Polje Ansätze für eine nachhaltige Lebensweise finden und dazu beitragen, dass auch junge Leute nicht abwandern. „Selbst wenn wir keine großen Summen beisteuern können, bedeutet es für die Menschen dort eine große Motivation, dass eine Organisation aus Deutschland sich für sie interessiert. Unsere direkte und unbürokratische Unterstützung hilft ihnen, nicht aufzugeben“, sagt Sandra Wigger.
Wenn die Dörfer leben, lebt alles.
Der Boden vibriert. Aus der Ferne nähern sich Schatten, bis aus den Schatten Tiere werden. Schlappohren hüpfen auf und ab, schwere Körper galoppieren auf uns zu. Die Schwarzen Slawonischen Schweine von Ivana Milić sind frei wie Wildpferde. Plötzlich zerteilt ein Blitz den Gewitterhimmel. Ivanas Haare leuchten vor dem Hintergrund, als stünde die Schweinezüchterin in Flammen. „Ich habe keine Angst!“, ruft sie mir zu, während sie, gefolgt von ihrer Herde, die Weide abläuft und den Zustand des Elektrozauns überprüft, den EuroNatur finanziert hat. Einundzwanzig Hektar konnte sie damit eingrenzen, das ist viel. Für Ivana Milić bedeutet dieses Land das Leben, das sie sich immer gewünscht hat.
Mit einer natürlichen Bewegung schlägt sie einen Hammer in die Holzwand des neu gebauten Schweinestalls, ganz so, als wolle sie unterstreichen, dass sie hierhergehört und sonst nirgendwohin. Wie viele ihrer Landsleute verbrachte auch Ivana Milić immer wieder Zeit in Frankfurt, um dort in der Gastronomie zu arbeiten und Geld zu verdienen. Doch in der großen Stadt, fern der Heimat konnte sie nicht atmen. „Ich riss ständig die Fenster auf, damit ich Luft bekam“, erinnert sie sich. Als dann die Corona-Pandemie kam, schaffte es die bosnische Kroatin mit dem letzten Flugzeug gerade noch zurück nach Banja Luca. „Ich musste einfach nach Hause.“ Seit 13 Jahren arbeitet Ivana Milić daran, sich im Livanjsko Polje eine Schweinzucht aufzubauen, immer wieder unterbrochen von Aufenthalten in Deutschland. Zuerst war es nur ein Hobby. Sie wollte dazu beitragen, in der Region hochwertige Lebensmittel anzubieten. Seit drei Jahren ist ihr Betrieb nun unter dem Namen „Terra Mater – Mutter Erde“ offiziell registriert.
„Das ist ein Geschäftsmodell für die Zukunft und ermöglicht mir Unabhängigkeit. Die wünsche ich mir nicht nur für mich selbst, sondern auch für alle anderen Menschen hier. So viele Landwirte sind gezwungen, ins Ausland zu gehen, um dort Geld zu verdienen. Nur Wenige kommen wieder und schaffen es, sich mit diesem Verdienst etwas aufzubauen. Wenn es ihnen überhaupt gelingt, dann dauert es sehr lange. Unser Landwirtschaftsminister investiert in die falschen Projekte! Ich habe ihm zu Weihnachten Gummistiefel versprochen, damit er mich endlich besucht und sieht, was ich hier Großartiges mache. Aber er kam nie. Sandra Wigger von EuroNatur dagegen war schon drei Mal bei mir, dabei musste sie extra aus Deutschland anreisen. Sie nimmt mich ernst und hat mich in schweren Zeiten immer wieder bestärkt, weiterzumachen. Ohne diese Unterstützung wäre ich aufgeschmissen gewesen. Den Minister interessiert nicht, was ich hier mache. Dabei wäre das ein Modellprojekt für die ganze Region. Wer wenig Geld hat, sollte Slawonische Schweine haben. Meine Tiere sind selbstständig und widerstandsfähig. Die überzüchteten Schweine, die in industriellen Betrieben gehalten werden, brauchen viele Impfungen. Meine Tiere dagegen sind ständig draußen. Einen Tierarzt haben sie noch nie gesehen.“
Der Wind weht stetig im Livanjsko Polje. Laut Statistik ist es nur vier Tage im Jahr windstill. Er verknotet mir die Haare und trocknet Ivanas Schweinefleisch. „Ohne Konservierungsstoffe, alles ganz natürlich. Meine Schweine schmecken nach einem glücklichen Leben. Es ist wie mit Eiern. Von außen sehen sie alle gleich aus, aber wenn du sie aufschlägst, siehst du am Gelb des Dotters, ob die Tiere ein gutes Leben hatten.“ Ivana verkauft ihr Schweinefleisch in ganz Bosnien-Herzegowina. Es ist so hochwertig, dass auch teure Restaurants zu ihren Abnehmern gehören. Ein Ferkel bringt Ivana 100 Euro ein. Als wir in ihrem Haus am Küchentisch sitzen, streckt sie mir ihr Handy entgegen. Aus dem Lautsprecher grunzt und schnaubt es genüsslich. Schwarze Schweine wälzen sich im Wasser hin und her. Sie verströmen eine Freude, die sofort auf mich überspringt. Das Schlammloch hat Ivana Milić eigenhändig gegraben.
Ivana fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle der emanzipierten Frau, die auf eigenen Beinen steht. Besonders die Männer in der Gegend fordert sie mit ihrer Tatkraft heraus. „Als ich stundenlang Pfähle für meinen neuen Elektrozaun in den Boden schlug, wollten sie wissen, warum das so leicht aussieht. Ich habe gelacht und geantwortet, dass ich so viel Kraft habe, weil ich so motiviert bin. Als ich mit der Schweinezucht anfing, hielten mich alle im Dorf für verrückt. Sie waren überzeugt, ich würde es nicht schaffen, aber das hat mich nur angespornt“, erinnert sie sich und schmunzelt. Heute arbeiten etwa 30 Landwirte mit ihr zusammen. Wir können fünf Minuten von unseren Häusern entfernt unser Geld verdienen. Mit dem Fleisch unserer Schweine bieten wir etwas ganz Besonderes an. Davon können wir unsere Steuern bezahlen und haben trotzdem ein gutes Gehalt.“ Ob sie sich vorstellen könne, nochmal woanders zu leben? „Nein, ich werde niemals verlassen, was ich hier habe!“
Mit meiner neuen Mähmaschine kann ich sogar größere Flächen mähen, als wir selbst für das Winterfutter brauchen.
Seit ein paar Monaten hat Bože Manić eine Freundin – eine Fernbeziehung. Ana lebt auf der anderen Seite des Hügels und nicht, wie Bože, in Potkraj am Rand des Livanjsko Polje. Kennengelernt hat er sie in einem Café. „Wer sich seine Zeit gut einteilt, hat genug davon“, sagt der 22-Jährige. Auch wenn Bože Manić stolz darauf ist, Schäfer zu sein, hatte er sich doch überlegt wie Ana darauf reagieren würde. Die meisten Mädchen wollen keinen, der das ganze Jahr über bei der Herde sein muss, keine Wochenenden und keinen Urlaub hat. Dann erzählte ihm Ana, dass auch sie Tiere habe, und das Eis war gebrochen. Heute schreiben sich die beiden Nachrichten, wenn Bože seine 100 Schafe hütet und seine Freundin auf der anderen Seite des Hügels ihre 30 Kühe in den Stall bringt. Manchmal mit klammen Fingern, wenn die Luft so eisig ist, dass sie am Fell von Božes Schafen gefriert, manchmal bei 35 Grad im Schatten. Das ist etwas, das Bože Manić an seinem Beruf besonders liebt: Diese Freiheit, die Dinge in seinem Rhythmus zu tun, sein eigener Herr zu sein – anders als in der Zeit, wo er von der Schäferei noch nicht leben konnte und einen Nebenjob als Bulldozerfahrer annehmen musste.
Vlado Manić ist stolz auf seinen Sohn. Die Großeltern und Eltern konnten die Schäferei immer nur als zusätzliche Einkommensquelle nutzen. Jetzt ist das anders. Mit braun gebrannten Fingern zeigt Vlado auf die Hundert Schafe, die sich im Schatten eines Baumes vor der Mittagshitze flüchten. „Das macht alles Bože. Schau, wie sauber und gesund seine Tiere sind! Daran erkennst du, dass er seine Arbeit ernst nimmt. Wäre das nicht so, hätten die Schafe Schlamm verkrustete Beine bis zu den Knien.“ Umgerechnet 800 Euro bekommt Bože Manić für vier Lämmer, das ist mehr als ein Monatsgehalt seines Vaters, der als Metzger in einem Unternehmen in der Nähe arbeitet. „Die Preise sind so hoch, weil viele die Schäferei aufgegeben haben und es nur wenig Lammfleisch auf dem Markt gibt“, erklärt Vlado. Die wachen, freundlichen Augen der beiden verraten ihre Verwandtschaft – nicht nur äußerlich. Auch Vlado liebt es, bei den Schafen zu sein. „Ich sehe ihnen beim Grasen zu und atme tief ein. Ich liebe den Duft der Natur, des Waldes, der Blüten. Nach dem Stress des Tages ist das die beste Therapie.“
Aber ganz so romantisch ist der Job als Schafzüchter doch wieder nicht. „Nicht jeder kann Schäfer sein, das musst du wollen,“ weiß Vlado. Bože will. Heute Nacht erst ist ein neues Lamm geboren. Der junge Mann kennt seine Tiere. Über die Frage wie er sie unterscheiden könne muss er lachen: „Wir sind den ganzen Tag zusammen, da kennt man sich.“ Mit einem Pfeifen lockt er die Tiere über die Weide zu sich. „Wir nutzen zu 90 Prozent Land, das uns andere bereitstellen, da wir nicht genug eigenes haben“, erklärt er. Ob die Unterstützung durch EuroNatur sein Leben leichter gemacht habe, frage ich ihn. „Ja, ich habe jetzt eine Mähmaschine und muss keine Leute mehr bezahlen, die für mich Heuballen pressen. Ich kann sogar größere Flächen mähen, als wir selbst für das Winterfutter brauchen. Das ist eine großartige Hilfe, denn es ist wichtig, das Land von Büschen und Bäumen offenzuhalten. Wenn ich die Wiesen nicht mähe, zünden die Leute sie an. Letztes Jahr haben wir nahe des Buško-Sees 3.000 Heuballen produziert, viel mehr als wir gebraucht hätten.“ Ob er sich vorstellen könne, von hier wegzugehen? „Nein! Ich möchte hierbleiben und als Schafzüchter leben, sonst nichts“, antwortet er bestimmt.
Jemand kam und bot an, uns zu helfen. So etwas ist vorher noch nie passiert. Ich dachte mir: Es kostet nichts, es zu versuchen!
Ivo Maleta begrüßt mich mit einem starken Händedruck und lächelt ein entwaffnendes Lächeln. So ähnlich war es wohl auch als Biljana und Goran Topić von der EuroNatur-Partnerorganisation Naše Ptice vor ein paar Jahren das erste Mal auf seinen Hof kamen, um ihn kennen zu lernen. Ivo ist Jäger, das hatte vor allem Biljana anfangs misstrauisch gemacht. Heute spricht sie von Ivo als einem Mann, dem sie vertraut. Ivo Maleta und seine Frau Dragana waren von Anfang an offen für eine Zusammenarbeit.
Wenig später fand sich Ivo als aufmerksamer Zuhörer in Vorträgen über die Artenvielfalt des Livanjsko Polje wieder, die Naše Ptice organisierte. Er erfuhr, wie viel er als Schafzüchter dazu beitragen kann, diese Vielfalt zu erhalten. In einem ersten Schritt bekamen Ivo und Dragana eine Förderung von 3.000 Euro, in einem zweiten waren es mehr. Das gegenseitige Vertrauen ging auf wie ein Samenkorn. Und schon bald rückte die rein finanzielle Unterstützung in den Hintergrund. „Wenn dir jemand hilft, wird alles einfacher. Wenn du mit jemandem reden kannst, wird die Last leichter“, sagt Ivo und erinnert sich, wie er bei der Arbeit vor nicht allzu langer Zeit einmal wieder alle körperlichen Grenzen überschritten hatte und sich danach im Krankenhaus wiederfand. „Zum Glück war alles in Ordnung, ich hatte mich nur überanstrengt.“ Und mit Nachdruck fügt er hinzu: „Ich hatte schon mehrere Gelegenheiten, etwas anderes zu machen, das ist nicht das Problem. Es gäbe eine Million einfachere Jobs, aber ich will sie nicht. Hier kommst du zur Ruhe, auch wenn du körperlich hart arbeiten musst.“
Wir laufen zu einem Stall im Keller des Hauses von Ivos Schwiegervater. Viele der Häuser im Dorf stehen leer. Dass es niemanden geben wird, der seinen Hof einmal übernimmt, da ist sich der 43-Jährige so gut wie sicher. „Es sind ja alle weggegangen!“ Er zuckt mit den Schultern und macht klar, dass es nichts nützt, darüber zu grübeln. Ivo pfeift und lockt mit Kussgeräuschen „Huít, huit,huit“. Seine Schafe antworten meckernd, das Heu raschelt, dazwischen die ziehenden Laute der Hühner. An der Decke klebt ein Schwalbennest. Ivo muss sich ducken, um nicht anzustoßen. Am Handgelenk trägt er keine Uhr, sein Takt wird von den Bedürfnissen der Tiere vorgebeben. „Hier oben haben wir Schafmütter mit Lämmern, in einem anderen Stall haben wir die trächtigen Tiere, die Böcke sind an einem dritten Ort und dort drüben haben wir die jungen weiblichen Lämmer. Drei Mal am Tag müssen wir den ganzen Kreis durchgehen, da fällst du abends von den Beinen“, lacht Ivo. „Wenn unser großer Stall erstmal fertig ist, wo wir alles an einem Ort einrichten können, wird das eine enorme Erleichterung sein.“ EuroNatur unterstützt Ivo und Dragana dabei.
Früher hatten die beiden neben den Schafen auch Kühe, bis sie alles bis auf die Traktoren verkauften und ihr Glück in einem Dorf in der Nähe von Frankfurt suchten. „Die Arbeit dort war nicht so schwer und gut bezahlt. Nach einiger Zeit habe ich aber zu meinem Boss gesagt: Lass uns einen Deal machen! Ich arbeite drei Monate für dich und dann lass mich für drei Wochen nach Hause gehen. Er war nicht einverstanden, da habe ich gekündigt. Ich habe mein Haus vermisst, die Natur und alles hier. Es ist schön als Tourist nach Deutschland zu gehen oder dort für zwei, drei Monate zu arbeiten. Aber das hier ist etwas anderes“, sagt Ivo Maleta und legt seine große Hand aufs Herz.
Text: Katharina Grund, Dolmetscher: Vinko Šarac
Die Autorin empfand die Reise ins Livanjsko Polje als ein Fest für die Sinne. Morgens vom Ruf des Wiedehopfs geweckt, genoss sie die Vielfalt der Natur, die es dort zu beobachten gab. Die Menschen im Livanjsko Polje haben interessante Geschichten zu erzählen. Dolmetscher Vinko Šarac ermöglichte es Katharina Grund, Einblicke in deren Leben zu gewinnen.