Ein maritimes Abenteuer: Mit der kleinen Fähre geht es von der Hauptinsel Helgolands auf die knapp einen Kilometer entfernte Düne. Dort befinden sich Ende Februar Hunderte von Deutschlands größten Meeressäugern, den Kegelrobben. Und wir werden ihnen ganz nahe kommen...
Wir, das sind insgesamt zehn Robbenexpertinnen und Naturschützer aus Kroatien, Montenegro, Albanien und Griechenland sowie von EuroNatur, allesamt Partner im Eastern Adriatic Monk Seal Project (EAMSP). Warum das diesjährige Partnertreffen ausgerechnet an der winterlichen Nordsee stattfindet, das von den Mönchsrobben des Mittelmeers in etwa so weit entfernt ist, wie die Helgoländer Mentalität vom Dolce Vita? Ganz einfach: Die Exkursion eröffnet den Projektpartnern aus Südosteuropa ganz neue Ansätze für ihre Arbeit zum Schutz der seltenen Mittelmeer-Mönchsrobben.
Frösteln und staunen
Es ist ein bewölkter Vormittag, der Wind bläst scharf aus Nordost. Die Robbenschützer aus Südosteuropa haben nach einer Überfahrt auf kabbeliger See mit den nächsten Unbilden der norddeutschen Natur zu kämpfen. Einige von ihnen bibbern in zu dünnen Jacken am Dünenstrand, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Wenn ich in ihre Gesichter schaue, sehe ich dennoch Begeisterung in ihren Augen: Der Anblick der Helgoländer Kegelrobben schlägt uns alle in ihren Bann.
Das Interesse scheint allerdings nur von einer Seite auszugehen. Die Kegelrobben lassen sich von unserer Anwesenheit in keiner Weise beirren. Die Meeressäuger sind die Anwesenheit von Menschen auf der Düne vor Helgoland gewohnt, sie halten unbeirrt an ihrem Vormittagsschläfchen fest. Anders ist die Situation zur Wurfzeit der Robben im Dezember und Januar. Wer dann den Mindestabstand von 30 Metern nicht einhält, kann es mit aggressiven Robbenmüttern zu tun kriegen, die ihren Nachwuchs verteidigen. Die scheinbar plumpen Tiere können sich auch an Land erstaunlich schnell fortbewegen und niemand sollte zwischen ein Jungtier und seine Mutter geraten.
Atmosphäre wie im Südatlantik
Nun, Ende Februar, als die Wurfsaison beendet ist, wirkt die Szenerie sehr friedlich. Tiefenentspannt liegen die Kegelrobben auf dem feinen Sand, kratzen sich ab und an mit den spitzen Krallen ihrer Flossen im Gesicht, rollen von einer Seite auf die andere. Aus der Kolonie dringt ein dezentes Jaulen und Fiepen, ab und zu schnaufen einige Exemplare laut hörbar durch ihre Nase aus. Lediglich wenn eine Robbe aus dem Meer an den Strand robbt und nach einem geeigneten Ruheplatz sucht, kommt etwas Unruhe in die große Kolonie. Dann wird schon mal nach dem Nachbarn geschnappt, der die Mittagspause unterbrochen hat. Zwischen den Robbenleibern staksen Silber- und Heringsmöwen umher, unbeeindruckt von den großen Meeressäugern suchen Sanderlinge und Meerstrandläufer in der Brandung nach Nahrung.
Plötzlich zeigt Kostandin Xhaho, einer unserer albanischen Partner, aufgeregt hinter uns. Hinter einer Sandwehe versteckt, weit weg von Wellen und Artgenossen, steckt eine junge Kegelrobbe ihren langgezogenen Kopf über die Wehe. Obwohl auch dieses Exemplar mindestens einen Meter groß ist, haben wir es zunächst alle übersehen. Den Mindestabstand von 30 Metern halten wir in diesem Fall nicht ein, ziehen uns aber langsam zurück. Es ist schön zu sehen, wie die Robbe uns zwar neugierig beobachtet, aber keinerlei Angst in ihren Augen erkennbar ist. Es scheint wie eine Begegnung auf Augenhöhe mit zwei jeweils überraschten und gleichzeitig neugierigen Spezies.
Robben in Nord-und Ostsee
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Verschiedene Gewichtsklassen
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Unterschiede bei der Jungenaufzucht
Austausch am Sandstrand
Nachdem wir zunächst alle etwas aufgeregt und jeder für sich – ich muss unweigerlich an Meeresurlaub mit Kindern denken – am Strand herumgelaufen sind und die Robben beobachtet haben, bilden die Naturschützerinnen vom Balkan, meine Kollegin Lisa Leschinski und ich einen Halbkreis. Mit dem Rücken zum Wind trotzen wir so der Kälte und können besser unsere Impressionen austauschen.
„Den Tieren in freier Wildbahn so nahe zu kommen, ist absolut fantastisch“, sagt Ante Kodžoman von Biom. „Davon können wir in Kroatien bislang nur träumen.“ Dort, relativ weit im Norden der Adria, haben sich bislang nur wenige Mittelmeer-Mönchsrobben gezeigt. Und selbst wenn die „Mönche“ auch bald dorthin zurückkehrten, wären solche spektakulären Beobachtungen wie auf der Helgoländer Düne kaum möglich. Die Mönchsrobben sind scheu, ziehen sich für die Geburt ihrer Jungen in Wurfhöhlen zurück. Das Gebären an Stränden, einst auch für Mönchsrobben völlig typisch, haben die Meeressäuger angesichts der Jagd auf sie und der heutigen Touristenmassen an den Stränden aufgegeben.
Der Massentourismus bringt weitere Bedrohungen für die „Mönche“ mit sich, wie im Verlauf unseres Gesprächs deutlich wird. „Die Robben werden von neugierigen Tauchern aus ihren Wurfhöhlen vertrieben, die illegalen Betonbauten an den Stränden der Adria werden immer mehr, das Meer wird in den Tourismushochburgen verschmutzt“, sagt Odysseus Paximos von unserer griechischen Partnerorganisation MOm, die in den zurückliegenden Jahren eine beratende Funktion im Projekt innehatte, mit der die Zusammenarbeit im Folgeprojekt nun aber endet.
Von Urlauberscharen sind wir an diesem Februarvormittag mitten in der Nordsee weit entfernt, waren bislang gar die einzigen Menschen am Strand. Nun sehen wir in einiger Entfernung eine Person langsam auf uns zukommen. Dick eingepackt in Gummistiefel, winddichter Jacke und Wollmütze zieht sie immer wieder ihr Fernglas hervor und zählt die Robben. Lisa spricht die Frau an, die sich als eine der Rangerinnen von Helgoland vorstellt. Maren Becker, so ihr Name, geht gerade ihrer täglichen Arbeit nach, dem Robbenzählen. Dieser Job wird Jahr für Jahr intensiver, denn die Bestände steigen. Mittlerweile wird es im Winter, zur Wurfsaison und zum Fellwechsel, fast ein bisschen eng am rund einen Kilometer langen Strand. Die Rückkehr der Robben geht einher mit gewissen Einschränkungen für die Einheimischen und für die Gäste der Insel. Seit 2021 sorgt ein Metallzaun während der Wurfsaison für die Sicherheit von Mensch und Tier bei Beobachtungen der Robben-Kinderstube.
„Das passt nicht jedem hier auf der Insel“, berichtet Maren Becker, die ein wenig erstaunt ist über die internationale Besuchergruppe auf Helgoland, aber bereitwillig die Fragen unserer Projektpartner beantwortet. „Die Inselbevölkerung wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs evakuiert und durfte erst nach Jahren wieder zurückkehren auf ihre Insel. Dass es nun wieder Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit gibt, rührt an alte Traumata“, führt Becker aus. Doch die Akzeptanz bei den Helgoländerinnen und Helgoländern wächst. „Durch Bürgerbeteiligung, einen fortwährenden Kommunikationsprozess sowie die gemeinsame Suche nach Lösungswegen ist es uns gelungen, Vertrauen zu schaffen. Zudem erkennen die Menschen auf Helgoland, dass die Anwesenheit der großen Meeressäuger Touristen anlockt und damit auch Geld bringt. Viele kommen extra wegen der Kegelrobben hierher, und außerhalb der Saison sind diese Besuche gern gesehene Einnahmequellen“, sagt Maren Becker.
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Helgoland - ziemlich einmalig
Klönschnack in der Fischerstube
Beim Abendessen in Helgolands zu dieser Zeit einzig geöffnetem Restaurant setzen unsere Projektpartner den Austausch fort. In der gemütlichen Fischerstube, die wirkt, als würde hier noch immer Seemannsgarn gesponnen, geht es um die Frage, ob die Robbenschützer vom Balkan etwas vom Wattenmeer-Nationalpark lernen können.
„Es ist spannend zu sehen, wie der Naturschutz in einem wohlhabenden Land wie Deutschland funktioniert“, sagt Kostandin Xhaho von PPNEA. „In Albanien haben wir einige Meeresschutzgebiete, aber kein funktionierendes Management. Dabei scheitert es weniger am guten Willen als vielmehr an mangelnden Kapazitäten.“ Albanien ist das Land an der östlichen Adria, an dessen Küsten bisher die meisten Mönchsrobben gesichtet wurden. Der marine Nationalpark Karaburun-Sazan trägt sogar einen der seltenen Meeressäuger im Logo. Doch um die Rückkehr der „Mönche“ hier langfristig sicherzustellen, braucht es Wurfhöhlen, in deren Schutz die Robbenmütter ihre Jungen gebären und aufziehen können. Sollten zudem die Bebauungspläne der letzten naturbelassenen Strandabschnitte im Adriastaat umgesetzt werden, würde es um die Rückkehr der Mönchsrobben ohnehin düster aussehen.
Mittlerweile steht das Essen auf dem Tisch; viele unserer Partner haben sich für Hummersuppe entschieden. Das ist eine Helgoländer Delikatesse und wärmt nach dem langen Tag an der frischen Nordseeluft von innen. Kostandin Xhaho fährt fort: „Wir haben bei unseren Recherchen 15 Wasserhöhlen ausfindig gemacht. Viele der Höhlen werden für den Tauchtourismus genutzt, andere dienen als Verstecke für den illegalen Handel, zum Beispiel mit Drogen.“ Das klingt für mich nun tatsächlich wie Seemannsgarn, doch Kostandin erzählt keine Märchen. „In einer der Höhlen haben uns die Dealer sogar eine Wildtierkamera zerstört. Seither montiere ich die Kameras an noch unzugänglicheren Orten“, sagt der albanische Robbenschützer. Kostandin ist Alpinist und versteht es, sich sicher abzuseilen. Niemand aus unserer Gruppe hatte nach dem Erklimmen der 184 Stufen zwischen Ober- und Unterland auf Helgoland noch so viel Puste wie er.
Als sich der Abend in der Helgoländer Fischerstube seinem Ende entgegen neigt, werden alle ein wenig wehmütig. Morgen bringt uns die Fähre zurück aufs Festland und obwohl die Reise nach Helgoland nur ein Kurztrip war, haben unsere Partner aus Südosteuropa die Nordseeinsel schätzen gelernt. Und sie nehmen für ihre Arbeit zum Schutz der Mönchsrobben viele Inspirationen mit.
„Wir haben auf dieser Reise viel gelernt, unter anderem wie sich Konflikte zwischen Mönchsrobben und Menschen vorbeugen lassen. Die Idee von zeitlich begrenzten abgesperrten Bereichen, in denen die Tiere ihre Ruhe haben, klingt nach einem guten Kompromiss“, sagt Ksenija Medenica von CZIP aus Montenegro. „Wir müssen es schaffen, die Bevölkerung mitzunehmen und ihnen die wirtschaftlichen Vorteile aufzuzeigen, die die Rückkehr der Robben mit sich bringen können. Dann werden unsere Maßnahmen, die eine dauerhafte Besiedlung der Mönchsrobben auch in montenegrinischen Küstengewässern sicherstellen sollen, langfristigen Erfolg haben“, ist Ksenija überzeugt.
Im Naturschutz ist es wichtig, immer wieder über den eigenen Tellerrand zu schauen und voneinander zu lernen. Die positive Bestandsentwicklung der Kegelrobbe in Nord- und Ostsee ist der der Mittelmeer-Mönchsrobbe in der Ägäis und der Adria durchaus ähnlich – mit all den Herausforderungen und Schwierigkeiten. Dass wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit den Wissensaustausch fördern konnten, war ein ganz besonderes Erlebnis für alle Beteiligten.
Für den Autor dieses Artikels war der Trip nach Helgoland auch eine Art Rückkehr. Im Spätherbst 2007 absolvierte Christian Stielow ein sechswöchiges Praktikum bei der Vogelwarte Helgoland. Damals machte er erste Bekanntschaften mit den Kegelrobben. Zu sehen, wie stark die Robbenbestände seither gestiegen sind, hat ihn sehr gefreut.