Unsere Meinung - Mythos nachhaltige Wasserkraft

Panorama der Flusslandschaft am Drin Panorama der Flusslandschaft am Drin
© Amelie Huber

Wasserkraft als Klimaretter? Ein längst überholter Mythos

Flusstäler sind fruchtbare Lebensräume für Mensch und Tier. Ihre Zerstörung – um vermeintlich klimafreundliche Wasserkraftenergie zu erzeugen – hat nichts mit Klimaschutz zu tun. Wenn die Erneuerbare-Energien-Richtlinie dies anerkennt, setzt sie ein wichtiges Zeichen für den Naturschutz in ganz Europa.

18. März 2022

Menschen an Baustelle für Wasserkraftwerk

An der Baustelle des Skavica-Wasserkraftwerks

© Amelie Huber

Am 2. Oktober 2021 posierte die US-Botschafterin in Albanien, Yuri Kim, zusammen mit der albanischen Ministerin für Infrastruktur und Energie über einem zerklüfteten Canyon im Nordosten des Landes. Nach über 60 Jahren unerfüllter Bauträume sollen mit Unterstützung der USA und des umstrittenen Infrastrukturgiganten Bechtel nun endlich die Planungsmaßnahmen für das 210 MW Skavica-Wasserkraftwerk auf den Weg kommen.

In ihrer Rede pries Kim die „Vorreiter-Rolle“ Albaniens als Wasserkrafterzeuger: ein Land, das bereits einen der „grünsten Stromerzeugungsmixe der Welt“ vorweist, und so dazu beiträgt, „die Probleme des Klimawandels und der öffentlichen Gesundheit zu lösen“, in einer Region, die zu sehr auf umweltschädliche Kohlekraftwerke angewiesen ist.

Dörfer verschwinden in den Fluten

Pferde weiden auf einer Koppel am Schwarzen Drin

Eine alte Kulturlandschaft würde in den Fluten des Stausees untergehen.

© Amelie Huber
Balkanluchs auf der Pirsch

Weniger als 50 Exemplare des Balkanluchses streifen noch durch die Wälder Albaniens und Nordmazedoniens.

© Jörg Pukownik

Die Skavica Talsperre ist die letzte noch nicht gebaute von 7 Stauanlagen, die der Schwarze Drin auf seinem Weg zur Adria passieren muss. Sie würde den letzten freifließenden Teil des Flusses zu einem der, laut Medien, größten Stauseen Europas aufstauen. Darin versinken würde ein Großteil der verarmten aber geschichtsträchtigen Region Dibra, ein lang gezogenes, fruchtbares, idyllisches Tal, umgeben von schneebedeckten Bergen, das sich in den letzten Jahren als Hub für Ökotourismus und biologische Landwirtschaft profiliert hat (teilweise mit Hilfe staatlicher Subventionen).

All das – Lebensraum, hart erwirtschaftete Existenzen und kulturelles Erbe – soll nun geflutet werden, ausradiert. Und nicht nur: das Wasserkraftprojekt würde auch eine ganze Reihe natürlicher Habitate zerstören, und damit die hohe Artenvielfalt der Region: Wölfe und Bären tummeln sich noch immer in den Wäldern von Dibra; der fast ausgestorbene Balkanluchs benutzt die Gegend rund um den geplanten Staudamm als Hauptwanderkorridor, er wäre durch das Projekt noch zusätzlich bedroht; von eventuell noch unerforschten Süßwasserarten ganz zu schweigen.

Wildflussabschnitt in Albanien

Hier könnte bald Europas größter Stausee entstehen - mit dramatischen Folgen für Mensch und Tier.

© Amelie Huber

Wasserkraft ist nicht nachhaltig

Mit der Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie hat die EU nun die Gelegenheit, eine derart großangelegte Zerstörung von Lebensräumen für den Ausbau bestimmter erneuerbarer Energien zu stoppen, und die Weichen für ein generelles Umdenken in der Energiepolitik zu stellen.

Das ist dringend nötig, denn der globale Diskurs ist heftig verzogen. In Konferenzen, in denen sich Politik und Wasserkraftlobby die Hand schütteln, ist die Rede davon, dass die Energiewende ohne den Ausbau der Wasserkraft nicht zu bewältigen sei. 850 GW müssen angeblich bis 2050 weltweit zusätzlich erzeugt werden, um die Erderwärmung unter 2°C zu halten.

Dabei ist ein weiterer Ausbau von Wasserkraft nicht nur aus ökologischer und sozialer Sicht unvertretbar, sondern auch unwirtschaftlich und keine wirkliche Klimaschutzmaßnahme. Nicht umsonst hatten Staudämme ihren gesellschaftlichen Rückhalt Ende der 90er Jahre fast gänzlich verloren. Aufgrund eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse hatten die Weltstaudammkommission, etliche Regierungen und sogar große Finanzinstitutionen wie die Weltbank den Bau von Großstaudämmen damals öffentlich als sozial und ökologisch höchst unvertretbar erklärt.

International Rivers erklärt in zehn Punkten, warum Staudämme in Zeiten des Klimawandels kontraproduktiv sind. Eine weitere Studie von 2021 zeigt zudem, dass es sehr lange dauert, bis ein Stausee mehr Treibhausgase absorbiert als er produziert. Manche schaffen es nie.

Boom der Wasserkraft trotz verheerender Öko-Bilanz

ausgetrockneter Fluss hinterm Wasserkraftwerk

Kleinwasserkraftwerke erzeugen wenig Strom, zerstören das Flussökosystem aber nachhaltig.

© Amel Emric

Seit den letzten 10-15 Jahren boomt der Bau von Wasserkraftanlagen aber wieder – in Europa genauso wie auf allen anderen Kontinenten. Dabei ist eine Schaffung bedeutender zusätzlicher Kapazitäten in den EU-Ländern gar nicht mehr realisierbar, denn die meisten Flüsse sind bereits verbaut. Der geplante Wasserkraftausbau mit 5.734 neuen Projekten würde die Energieerzeugung durch Wasserkraft nur um maximal 3,9% steigern.

Denn die Mehrheit davon sind Kleinwasserkraftwerke. Sie produzieren kaum merkliche Mengen an Energie und haben trotzdem eine schockierende Ökobilanz. Und obwohl Wasserkraftanlagen unter dem Strich (d.h. bei Berücksichtigung interner wie externer Kosten) nicht immer rentabel sind, machen finanzielle Anreize und staatliche Fördermittel sie immer noch zu attraktiven Einnahmequellen für eine hungrige Wasserkraftindustrie.

Gewaltige Staumauer zerstört Fluss

Gewaltiger Staudamm an der Neretva - verheerende Auswirkungen für wanderende Fischarten und andere Tiere der Flüsse

© Anton Vorauer

Genau hier könnte die Erneuerbare-Energien-Richtlinie eingreifen. Denn was bei dem politischen Status Quo derzeit unter den Tisch fällt, sind die Umweltschäden, die Wasserkraftanlagen – groß wie klein – in Europas letzten unverbauten Flusslandschaften anrichten. Eine Zerstörung von Natur und Biodiversität, die oft unumkehrbar ist.

So ist die Artenvielfalt in europäischen Flüssen (die mit über einer Million Querbauwerken zu den am meisten verbauten Flüssen der Welt gehören) bereits um 80% zurückgegangen, Wanderfischpopulationen sogar um 93%. Und natürlich wirken sich die Veränderungen im Fluss auch auf die Ökologie der umliegenden Flussauen, Feucht- und Küstengebiete aus. Dies steht im totalen Widerspruch zu den kürzlich verabschiedeten Biodiversitätszielen.

Auch um die Klimatauglichkeit von Wasserkraft steht es nicht besser: Ihre Infrastruktur und die dafür notwendigen Baumaßnahmen zerstören wichtige Kohlenstoffsenken, wie Wälder, und beeinträchtigen die CO²-regulierende Funktion der Flüsse selbst. Stauseen stoßen nicht unerhebliche Mengen an klimaschädlichem Methan und anderen Treibhausgasen aus. Und Wasserkraftprojekte gefährden auf verschiedenste Art und Weise die Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen und Menschen an Klimaveränderungen, nicht zuletzt indem sie eine ungesunde Abhängigkeit von einer zunehmend unzuverlässigen Energiequelle schaffen.

Anzuerkennen, wie problematisch die Wasserkrafterzeugung für die Natur, lokale Bevölkerungsgruppen und die Klimaanpassung ist, liegt in den kommenden Monaten in der Verantwortung der EU-Entscheidungsträger. Wenn wir für den Klimaschutz unsere Natur- und Biodiversitätserhaltungsziele über Bord werfen, ist das der falsche Ansatz. Wasserkraft muss als eine förderungsunwürdige Energiequelle erklärt werden. Dies würde auch ein starkes Signal in Richtung von EU-Beitrittskandidaten wie Albanien senden, die Zerstörung intakter Ökosysteme (welche gleichzeitig Lebensgrundlage und Kulturerbe für die ansässige Bevölkerung bilden) nicht länger als Klimaschutzmaßnahme zu legitimieren.

EuroNatur-Mitarbeiterin Amelie Huber
© Kerstin Sauer

Autorin: Dr. Amelie Huber ist Projektleiterin im Fließgewässer-Team von EuroNatur. Seit über zehn Jahren forscht, spricht und schreibt sie über die problematischen Auswirkungen des Wasserkraftbooms im Zusammenhang mit dem Klimawandel.

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